257454197_MericsChinaEssentials_16_210923
MERICS Briefs
MERICS China Essentials
13 Minuten Lesedauer

AUKUS + Hongkong + Evergrande

TOP THEMA: Transatlantische Zusammenarbeit zu China gerät in unruhiges Fahrwasser

Die transatlantischen Beziehungen sind nach der Ankündigung einer trilateralen Sicherheitspartnerschaft Australiens, der USA und Großbritanniens in unruhige Fahrwasser geraten. Im Rahmen der AUKUS-Partnerschaft wollen die drei Länder China im indopazifischen Raum entgegentreten. Nur wenige Stunden nach der Ankündigung stellte die EU ihre neue Strategie vor, durch den Ausbau regionaler Partnerschaften eine größere Rolle in der Region Indopazifik zu spielen. Besonders getroffen war insbesondere Frankreich, da Australien einen 50-Milliarden-Euro-Auftrag für französische U-Boote aufkündigte, um stattdessen atomgetriebene Alternativen aus den USA zu erwerben.

Dass Brüssel und Paris nicht in das Bündnis aufgenommen wurden, zeigt die Ungeduld Washingtons, wenn es um die Zusammenarbeit in Sachen China geht und die Skepsis darüber, dass Europa in naher Zukunft ein wichtiger Sicherheitspartner im indopazifischen Raum werden könnte. Die Zukunft des europäischen Engagements in der Region wurde ausgerechnet an dem Tag in Frage gestellt, an dem die EU ihre neue indopazifische Strategie veröffentlichte. Die von Frankreich vorangetriebene Strategie sollte den Bemühungen Brüssels, ein relevanterer Akteur im indo-pazifischen Raum zu werden, neuen Schwung verleihen. 

Australien, die USA und das Vereinigte Königreich informierten Berichten zufolge Brüssel und Paris nicht vorab. Paris reagierte verärgert und rief die französischen Botschafter in Canberra und Washington zurück. Offenbar drängt die französische Regierung nun Brüssel dazu, die Eröffnungssitzung des Handels- und Technologierats der EU und USA zu verschieben. Sollte sich in der EU der Eindruck der mangelnden Loyalität der USA verfestigen, wird AUKUS die Spannungen zwischen Europa und den USA wahrscheinlich verstärken. Dadurch könnten die Bestrebungen der USA, Europa zu einer aktiveren Konfrontation mit China zu bewegen, noch mehr in die Ferne rücken.  

Gleichzeitig wird der Erwerb australischer U-Boot-Technologie durch die USA dazu führen, dass China seine militärische Aufrüstung und Modernisierung weiter vorantreibt - und gegenüber den AUKUS-Partnern noch kompromissloser sein könnte. Die Spannungen in der indopazifischen Region dürften zunehmen. Beijing wird zudem wahrscheinlich versuchen, jede transatlantische Kluft zu nutzen, um sich Paris und Brüssel wieder anzunähern und Washington als unzuverlässigen Partner darzustellen. 

MERICS-Analyse: „Nur wenige Wochen nach dem chaotischen Rückzug aus Afghanistan wird die AUKUS-Ankündigung die Besorgnis in ganz Europa verstärken, dass die EU sich nicht auf die USA verlassen kann“, sagte Helena Legarda, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei MERICS. „Das Abkommen wird den Forderungen nach mehr europäischer strategischer Autonomie und Verteidigungskooperation neue Dringlichkeit verleihen. Das könnte die Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA im Umgang mit China in einer Reihe von Politikfeldern erschweren.“

Medienberichte und Quellen:

METRIX

47

Zwischen 2017 und 2020 ist China im „Doing Business“-Ranking der Weltbank um 47 Plätze nach oben gerückt, von Rang 78 auf Rang 31. China liegt jetzt vor Italien und anderen europäischen Ländern. Das jährliche Ranking bewertet, ob Regulierungen von Staaten förderlich für die Geschäftstätigkeit sind oder diese einschränken. Bei einer internen Prüfung durch die Anwaltskanzlei Wilmer Hale ergaben sich nun jedoch Hinweise darauf, dass die Bewertungen manipuliert wurden, um ein günstigeres Gesamtranking für China zu erzielen. Die Weltbank hat angekündigt, den Bericht einzustellen

MERICS-Analyse: „Der Skandal um den ‚Doing Business‘-Bericht zeigt den wachsenden Einfluss Beijings auf internationale Institutionen - in diesem Fall durch die implizite Möglichkeit, seine Beiträge an die Weltbank infrage zu stellen, wenn das eigene Ranking als unzureichend angesehen wird“, sagte Jacob Gunter, Senior Analyst bei MERICS. „China müsste wahrscheinlich weiter hinten platziert sein als im jüngsten Bericht. Das bedeutet aber nicht, dass es nichts getan hat, um Geschäftstätigkeit im Land zu erleichtern. Umfragen der europäischen, deutschen und US-Handelskammern in China deuten hier auch durchaus auf Fortschritte.“

Hongkong hält Wahlen „nur für Patrioten“ ab

Die Fakten: In Hongkong haben erstmals seit den Anfang des Jahres verabschiedeten Gesetzesänderungen nur „Patrioten“ für öffentliche Ämter kandidieren dürfen. Das sind Personen, die als loyal gegenüber der chinesischen und Hongkonger Regierung gelten. Rund 4900 Wähler gingen an die Urnen, um die Mitglieder des Wahlausschusses zu wählen, der den Regierungschef (Chief Executive) und fast die Hälfte des Legislativrats (LegCo) bestimmen wird. Obwohl Pannen die Auszählung um mehr als 13 Stunden verzögerten, wurde die Wahl von Beijing als Erfolg gewertet. Nur 364 von 1500 Sitzen waren umkämpft, und nur ein Kandidat der Opposition, Tik Chi-yuen, konnte einen Sitz im Hongkonger Parlament erringen.

Unterdessen löste sich mit dem Hongkonger Gewerkschaftsbund, die größte prodemokratische Gewerkschaftsvereinigung der Stadt, eine weitere zivilgesellschaftliche Gruppe wegen Verfolgung und Sicherheitsbedenken auf. Unter Berufung auf das Nationale Sicherheitsgesetz wies zudem die Polizei die Organisatoren der jährlichen Tiananmen-Mahnwache an, Online-Beiträge zum Gedenken an die Niederschlagung der Proteste 1989 zu löschen. Die Polizei nahm auch drei Studierende fest, die angeblich regierungsfeindliche Botschaften verbreitet hatten, indem sie Snacks verteilt hatten.

Der Blick nach vorn: Die Wahl des Wahlausschusses ist richtungsweisend für die Legislativratswahlen im Dezember. Diese wurden wegen der Covid-19-Pandemie um ein Jahr verschoben und könnten dazu führen, dass künftig nur Beijing-treue Kandidaten gewählt werden. Nur 20 der 90 Sitze im Parlament werden direkt gewählt, der Rest wird vom Wahlausschuss und den einflussreichen Interessengruppen aus Handel und Industrie der Stadt bestimmt. Die Wahlbeteiligung dürfte Rückschlüsse auf die Stimmung in der Bevölkerung zulassen. Bei den Legislativratswahlen in Macau in diesem Monat sank die Zahl der registrierten Wähler auf ein Rekordtief. Oppositionspolitiker waren von der Kandidatur ausgeschlossen worden. 

MERICS-Analyse: Die Hongkonger Politik steckt in einem tiefgreifenden Wandel. Die Wahlreformen und die Unterdrückung abweichender Meinungen machen es Oppositionsführern fast unmöglich, für ein öffentliches Amt zu kandidieren. Zivilgesellschaftlichen Organisationen wird die politische Teilhabe ebenfalls verwehrt. Weil nur noch Beijing-treue Bürger zum Zuge kommen, wird die politische Agenda Hongkongs zunehmend von Prioritäten beherrscht, die den Vorgaben der chinesischen Führung entsprechen. 

Medienberichte und Quellen:

China bewirbt sich um Beitritt zum transpazifischen Handelsabkommen

Die Fakten: China will dem transpazifischen Handelsabkommen CPTPP beitreten und beantragte am 16. September offiziell die Aufnahme. Das Abkommen ist der Nachfolger der Transpazifischen Partnerschaft (TPP), die nach dem Rückzug der Trump-Regierung auseinandergebrochen war. Zahlreiche Bestimmungen aus dem TPP, zum Beispiel zu Subventionen, Staatsunternehmen und anderen Marktverzerrungen, wurden im neuen Abkommen jedoch übernommen. Zu den Erstunterzeichnern gehören elf Länder des pazifischen Raums. 

Der Blick nach vorn: Die Mitglieder des CTPPP müssten Chinas Beitritt einstimmig zustimmen. Das ist aus zwei Gründen eher unwahrscheinlich: Erstens hat China viele der Unterzeichnerländer, insbesondere Japan, Vietnam, Kanada und Australien, politisch und wirtschaftlich verärgert. Zweitens müsste China umfangreiche Reformen durchführen, um die Vorgaben der Handelspartnerschaft unter anderem in Bezug auf Subventionen und staatliche Unternehmen zu erfüllen. Viele dieser Punkte gehören zu den grundlegenden Elementen des Abkommens, das auch darauf abzielt, Marktverzerrungen durch China entgegenzuwirken.

MERICS-Analyse: „China dürfte mit dem Beitrittsersuchen zwei Ziele verfolgen. Das erste ist, aufgenommen zu werden und die Gespräche zu nutzen, um Ausnahmen für sich selbst auszuhandeln – oder sogar die Bestimmungen gegen Subventionen und staatliche Unternehmen aufzuweichen“, sagt Jacob Gunter, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei MERICS. „Das zweite, destruktivere Ziel könnte darin bestehen, die weitere Erweiterung der Partnerschaft zu verzögern und die Ablehnung des Antrags als Beleg dafür zu werten, dass China von ausländischen Mächten 'eingedämmt' würde.“

Medienberichte und Quellen:

VIS-À-VIS: Max J. Zenglein: „Eine Rettung von Evergrande durch die Regierung ist nicht zu erwarten“

Der chinesische Immobiliengigant Evergrande ist bedrohlich ins Wanken geraten. Beobachter und Anleger blicken mit Sorge auf den Konzern, der einen Schuldenberg von mehr als 300 Mrd. USD angehäuft hat. Manche befürchten eine Insolvenz, die Schockwellen durch den Immobilien- und Finanzmarkt senden könnte. MERICS China Essentials fragte MERICS Chefökonom Max J. Zenglein nach seiner Einschätzung.

Droht Evergrande tatsächlich die Insolvenz, und könnte diese den Kollaps des Immobilien- und Finanzmarkts zur Folge haben?

Ich rechne nicht mit einer Insolvenz von Evergrande. Ebenso wenig denke ich, dass der chinesische Immobilienmarkt kollabiert oder es in China zu einer Finanzkrise kommt. Die chinesische Regierung will das um jeden Preis vermeiden. Sie wird versuchen, langsam und kontrolliert die Luft aus der Immobilienblase zu lassen. Dieser Prozess wird sich über viele Jahre ziehen. Evergrande selbst droht die Zerschlagung. Möglich wäre auch, dass der Konzern unter staatliche Kontrolle gestellt wird. 

Wieso hat die Regierung es so weit kommen lassen?

Die Regierung und Aufsichtsbehörden haben schon länger davor gewarnt, dass sie die Exzesse auf dem chinesischen Immobilienmarkt nicht länger tolerieren würden. Immobilienentwickler wie Evergrande haben massiv Schulden für den Bau neuer Wohnungen aufgenommen. Zugleich haben viele Chinesen mit Immobilien spekuliert und die Preise so in die Höhe getrieben. Xi Jinping mahnt seit Jahren, dass Häuser zum Wohnen und nicht zum Spekulieren gedacht sind. Jetzt hat die Regierung die Finanzierung für Konzerne teurer gemacht und Grundstücksverkäufe eingeschränkt. Beijing greift mit aller Macht durch, um die Entstehung noch größerer Risiken für Chinas Finanzsystem zu verhindern. 

Welche Instrumente stehen Beijing zur Bewältigung der Krise zur Verfügung? 

Derzeit besteht unmittelbar das Risiko, dass Evergrande einen Teil seiner Verbindlichkeiten nicht erfüllen kann. Bereits jetzt fehlt es an liquiden Mitteln für Zahlungen an Kreditgeber oder zur Fortsetzung von Baumaßnahmen. Evergrande hat versucht, Vermögenswerte zu verkaufen. Aber bis auf wenige Ausnahmen ist das Kaufinteresse gering, da die Anlagen als toxisch betrachtet werden. Peking könnte Staatsunternehmen verpflichten, diese Anlagen oder Vertragsverpflichtungen von Evergrande zu übernehmen, um Zeit zu gewinnen. Die Partei könnte auch den Privatsektor hierzu drängen und im Gegenzug politische Gefälligkeiten in Aussicht stellen bzw. entsprechende Anreize schaffen. 

Eine Rettung von Evergrande durch die Regierung ist indes nicht zu erwarten. Stattdessen wird Beijing eine Rangfolge vorliegen, in der Verbindlichkeiten zu erfüllen sind. Höchste Priorität wird sein, die Auswirkungen auf Privathaushalte und Auftragnehmer so gering wie möglich zu halten, um das unmittelbare ökonomische Risiko zu minimieren. Die abrauschenden Börsen werden in- und ausländische Investoren gleichermaßen in Mitleidenschaft ziehen. Aber das interessiert die Regierung wenig, solange sie katastrophale Auswirkungen einer Evergrande-Pleite auf die Finanzmärkte verhindern kann. 

Welche Folgen könnte die Krise von Evergrande für internationale Gläubiger haben?

Ausländische Anleihebesitzer stehen sicher ganz unten auf Beijings Prioritätenliste: Sie müssen mit Zahlungsausfällen rechnen. Evergrande hat bei internationalen Anlegern insgesamt mehr als 20 Milliarden Dollar geliehen. Einige von ihnen werden wohl viel Geld verlieren. Eine globale Schockwelle halte ich nicht für wahrscheinlich. Der Fall zeigt jedoch, welche Risiken im chinesischen Finanzsystem schlummern. Ausländische Investoren haben neuerdings immer mehr Möglichkeiten, direkt auf dem chinesischen Markt tätig zu werden.

Wie wird sich Chinas Immobilienmarkt nach der Evergrande-Krise entwickeln?

Die größte Herausforderung wird sein, einen Einbruch der Immobilienpreise zu vermeiden. Chinas Wirtschaftswachstum hängt immer weniger vom Immobilienmarkt ab, da viele private Investoren ihre Portfolios diversifizieren. Ich erwarte eine strengere Regulierung, die den Immobilienbereich grundlegend verändern wird. Die bisherige Regelung, dass künftige Hausbesitzer vorab die gesamte Immobilie bezahlen, wird abgeschafft oder zumindest stark abgeändert werden. Vorstellbar ist auch eine von der Regierung gedeckte Schutzklausel für Immobilienkäufer, eventuell sogar eine Auflage für Immobilienfirmen, zum gesellschaftlichen Wohlstand beizutragen, indem sie erschwingliche Wohnungen bauen. 

PROFIL: Liu Simu: Ein chinesischer Hollywood-Held ist in China unerwünscht

Mit seiner Hauptrolle im Disney-Blockbuster „Shang-Chi und die Legende der zehn Ringe“ ist der 32-jährige Liu Simu einem weltweiten Filmpublikum bekannt geworden – als erster asiatischer Superheld in einem der lukrativen Marvel-Filme. Mehr als 260 Millionen USD spielte der Film weltweit ein und setzte sich in fast 50 Ländern an die Spitze der Kino-Charts, unter anderem in Deutschland, Großbritannien und Südkorea. Die chinesischen Zensoren allerdings haben dem Film bis heute keine Freigabe erteilt, und werden dies vielleicht auch niemals tun.

Der Grund liegt vermutlich in einem Interview, in dem der als Kind nach Kanada ausgewanderte Liu 2017 sein Geburtsland als „Dritte Welt“ titulierte. Das Interview mit dem in Ha’erbin im Norden Chinas geborenen Schauspieler ist online nicht mehr abrufbar. Chinesische Netizens teilten Screenshots davon und riefen ihre Landsleute zum Boykott des Films auf. 

Liu ist nach Oscar-Gewinnerin Chloe Zhao der zweite internationale Filmkünstler mit chinesischen Wurzeln, der sich den Zorn chinesischer Nationalisten zuzieht. Zhao war jüngst als „unpatriotisch” kritisiert worden, weil sie in einem schon 2013 erschienenen Interview China als Ort „voller Lügen“ bezeichnet hatte. Chinesische Zensoren hatten daraufhin die Berichte über ihren Oscar für die beste Regie gesperrt. Ihr Film „Nomadland“ wurde in China nie gezeigt. 

Lius Auftritt im Marvel-Blockbuster droht auch aus einem weiteren Grund dasselbe Schicksal. Die nationalistische parteistaatliche Zeitung „Global Times“ kritisierte den Film in einem Kommentar als inakzeptabel, da das aus einem Marvel-Comic adaptierte Material in rassistischen Stereotypen die chinesische Ethnie verunglimpfe. Ein Verbot des Films in China wäre ein weiterer Rückschlag für Hollywood, das schon seit geraumer Zeit versucht, auf dem größten Filmmarkt der Welt besser Fuß zu fassen. Doch China hält bislang an der strikten Quote fest, höchstens 34 ausländische Filmen jährlich zuzulassen.

Medienberichte und Quellen: