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China's dynamische Null-Covid Strategie + Kasachstan + Algorithmus-Regeln

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Chinas „dynamische Null-Covid Strategie“ steht vor Olympia auf dem Prüfstand

Seit drei Wochen befindet sich die chinesische Millionenstadt Xi'an nun im Lockdown. Zum Jahreswechsel meldete China 235 neue Fälle pro Tag – der höchste Wert seit März 2020. Die chinesischen Behörden gingen in Xi’an rigoros vor, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. 

Anfang des Jahres hat Beijing seine "Null-Covid"-Strategie aufgrund der Schwierigkeiten bei der Eindämmung der Delta-Variante bereits auf eine „dynamische Null-Covid Politik“ umgestellt. Das Ziel besteht nun nicht mehr darin, die Zahl der Fälle stets bei null zu halten, sondern neue Cluster so rasch wie möglich zu bekämpfen. 

Die Strategie hat ihren Preis: In Xi’an konnten viele Bürger aufgrund der strengen Beschränkungen keine Lebensmittel kaufen. Eine Frau erlitt vor den Toren eines Krankenhauses eine Fehlgeburt. Weil ihr Test die Vier-Stunden-Frist überschritten hatte, wurde ihr der Zutritt verweigert. Obwohl die Covid-19-Fälle in der Stadt inzwischen zurückgehen, kritisierten Bürgerinnen und Bürger im Internet heftig das Vorgehen der Behörden.

Trotz strenger Maßnahmen kommt es weiterhin und in immer kürzeren Abständen zu vereinzelten Ausbrüchen in ganz China, da das Virus immer schwerer einzudämmen ist. Städte wie Xuchang, Zhengzhou und Ningbo haben neue Maßnahmen ergriffen oder lokale Lockdowns verhängt. Auch das bevorstehende Frühlingsfest, das am 1. Februar beginnt, gibt Anlass zur Sorge. In dieser Zeit reisen Jahr für Jahr Millionen Menschen aus dem ganzen Land nach Hause zu ihren Familien. 

Der Lockdown in Xi‘an wird sich auf Konsum und Wirtschaftswachstum in ganz China auswirken. Die im Landesinnern gelegene Stadt ist ein wichtiges Wirtschaftszentrum. Durch unterbrochene Lieferketten entstehen Probleme für nachgelagerte Kunden im ganzen Land. Die Millionenstadt Tianjin, in der am vergangenen Wochenende die ersten lokal übertragenen Omikron-Fälle nachgewiesen wurden, ist nur eine 30-minütige Bahnfahrt von Beijing entfernt, es gibt viele Pendler. Die Beschränkungen in Tianjin und Ningbo, in denen sich der neunt- und drittgrößte Hafen der Welt befinden, werden die ohnehin angespannte Lage bei globalen Lieferketten weiter verschärfen.

Sollte sich Omikron auch auf andere Landesteile ausbreiten und wenn weitere Lockdowns erlassen werden, könnten die wirtschaftlichen Auswirkungen auf Lieferketten und Konsum gravierend sein. Dies wird Chinas Ziel beeinträchtigen, den Binnenkonsum zu stärken und die Bedeutung der Exporte als Wachstumsmotor zu verringern.  

MERICS-Analyse: "Chinas Behörden sind zuversichtlich, dass sie mit ihrer angepassten Strategie Omikron besiegen werden, so wie es ihnen bei anderen Varianten gelungen ist. Die dynamische Null-Covid Strategie scheint aktuell die beste Option verglichen mit den hohen Fall- und Todeszahlen in Europa. Allerdings steigen die sozialen und wirtschaftlichen Kosten dieser Strategie. Der Ausbruch in Tianjin dürfte Beijing besonders Sorgen bereiten. Jeder größere Ausbruch in der Hauptstadt würde einen Schatten auf die bevorstehenden Olympischen Spiele werfen", sagt MERICS-Experte Vincent Brussee

Medienberichte und Quellen:

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Die Zahl der pro-demokratischen Medien in Hong Kong, die in den Tagen nach Weihnachten geschlossen wurden. Die bekannte Medienorganisation Stand News war gezwungen, den Betrieb einzustellen, nachdem die Polizei mehrere leitende Angestellte festnahm und Büros durchsuchte. Die Nachrichtenseite Citizen News gab ebenfalls bekannt, dass sie ihre Arbeit einstellen werde, um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter zu gewährleisten. Die Schließungen geschahen vor dem Hintergrund einer neuen Welle an Eingriffen der Regierung, die darauf zielen, Widerstand einzudämmen und auch, die Geschichte im Sinne der KPC umzudeuten. Über die Weihnachtstage wurden drei Mahnmale zur Erinnerung an die Tiananmen-Proteste 1989 in nächtlichen Aktionen entfernt. Mehrere Aktivisten wurden wegen „Aufwiegelung zum Aufruhr“ angeklagt oder für das Veranstalten von Mahnwachen verurteilt.(Quellen: BBC, Reuters, NPR, Reuters, BBC)

Themen

Proteste in Kasachstan: Beijing billigt russische Intervention

Die Fakten: Zum zweiten Mal binnen weniger Monate sieht sich Beijing mit Unruhen an seinen westlichen Grenzen konfrontiert. Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 ging Anfang Januar das Militär in Kasachstan gewaltsam gegen Demonstranten vor, die gegen hohe Gaspreise protestiert hatten. Der kasachische Präsident Kassym-Jomart Tokajew macht im Ausland ausgebildete Terroristen für die Gewalt verantwortlich.

Von Seiten Beijings hieß es zunächst lediglich, es handle sich um eine interne kasachische Angelegenheit und die Ordnung im Land müsse wiederhergestellt werden. Am 7. Januar stellte sich dann aber Chinas Präsident Xi Jinping hinter Tokajew und schloss sich seiner Darstellung der ausländischen Einmischung an. Xi teilte seinem kasachischen Amtskollegen mit, China werde sich sogenannten "externen Kräften", die in Kasachstan eine "farbige Revolution" anzettelten, entschieden entgegenstellen. Xi bot Tokajew auch Unterstützung bei der Eindämmung der Unruhen an.

Der Blick nach vorn: Auf Ersuchen Tokajews entsandte Russland Truppen nach Kasachstan, um im Rahmen der von Moskau geleiteten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (CSTO) für Ordnung zu sorgen. China dürfte sich nicht in diesem Umfang engagieren. Zentralasien sorgt mitunter für Spannungen zwischen Moskau und Beijing, da China zuletzt seinen Einfluss in diese traditionelle Einflusssphäre Russlands ausgeweitet hat. Die Reaktion Beijings signalisiert indes die Bereitschaft, Moskau als Sicherheitsgarant in Zentralasien auftreten zu lassen, solange Chinas Hauptinteresse – die Stabilität in der Region – gewahrt bleibt. Die von Beijing geführte Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) sagte ebenfalls zu, auf Anfrage zu intervenieren. Auch sie bekundete Unterstützung für das Vorgehen der kasachischen Regierung und billigte damit indirekt auch die russische Intervention.

MERICS-Analyse: "Zwar sind die chinesisch-russischen Beziehungen zunehmend von Misstrauen geprägt, auch weil sich das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Ländern zugunsten Chinas verschiebt. Zugleich zeigt die Reaktion Beijings auf die Krise in Kasachstan sowie seine Bereitschaft, das russische Engagement in dem Land zu akzeptieren und sogar zu unterstützen, wie gut das Verhältnis der beiden Länder aktuell ist“, sagt Helena Legarda, MERICS Lead Analyst. "Es ist nicht auszuschließen, dass China auch eine mögliche russische Invasion in der Ukraine zumindest diplomatisch unterstützen könnte."

Medienberichte und Quellen:

Chinas neue Algorithmus-Regeln sind weltweit bahnbrechend

Die Fakten: China hat einen wichtigen Schritt zur Regulierung von Algorithmen getan. Ende vergangenen Jahres veröffentlichten die chinesische Cyberspace-Behörde CAC und drei weitere Ministerien Regeln zur Verstärkung der behördlichen Aufsicht über die Verwendung von Empfehlungsalgorithmen durch Technologieunternehmen. Es handelt sich um den bisher ehrgeizigsten Versuch weltweit, Algorithmen zu regulieren. Zivilgesellschaften und Regierungen auf der ganzen Welt sind besorgt über den Einfluss, den Internetplattformen durch Algorithmen ausüben, die zur Verbreitung von Inhalten verwendet werden. Die am 31. Dezember 2021 angekündigten Richtlinien treten am 1. März in Kraft.

Der Blick nach vorn: Die Regulierungsbehörden wollen den Nutzern – und dem Staat – mehr Kontrolle darüber geben, wie ihre Daten in die Rechenverfahren eingespeist werden, die personalisierte Inhalte und Informationen produzieren. Das umfasst Inhalte, die Nutzer der Nachrichten-App Toutiao von Bytedance lesen bis hin zu den Produkten, die sie auf E-Commerce-Websites wie Alibabas Taobao kaufen. Den Internetfirmen wird eine Reihe neuer Anforderungen auferlegt, darunter technische Maßnahmen, die es Nutzern ermöglichen, zur Erstellung ihrer Profile verwendete Schlüsselwörter einzusehen und zu deaktivieren. Missbräuchliche Praktiken, wie die Verwendung von Algorithmen zur Preisdiskriminierung oder die Erstellung und Verbreitung von Fake News und Deepfakes, werden untersagt.

MERICS-Analyse: "Die Regulierungsbehörden in der EU sollten genau beobachten, wie China ihnen in sensiblen Bereichen der Regulierung von Künstlicher Intelligenz (KI) zuvorkommt. Die Regelungen offenbaren mehr noch als das vieldiskutierte Sozialkreditsystem die subtile Art und Weise, wie die chinesische Regierung ihren Einfluss auf die Gesellschaft durch Technologien ausweitet. Empfehlungsalgorithmen können die öffentliche Meinung und das Verhalten beeinflussen, und dafür will Beijing die neuen Bestimmungen eindeutig nutzen. Gleichzeitig gibt es Elemente, von denen sich die EU-Regulierungsbehörden inspirieren lassen könnten. Der Versuch, negative Auswirkungen der automatisierten Entscheidungsfindung auf Verbraucher, sozialen Zusammenhalt und Arbeitnehmerrechte zu bekämpfen, könnte anderen Staaten Orientierungshilfe sein", sagt MERICS-Analystin Rebecca Arcesati.

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Medienberichte und Quellen:

Ein nicht so frohes neues Jahr für Chinas Immobilienunternehmen

Die Fakten: Chinas Immobilienbranche tut sich auch nach dem Jahreswechsel weiterhin schwer: Der Branchenriese Evergrande wurde offiziell für zahlungsunfähig erklärt, und das Hauptquartier der Firma in Shenzhen zog in ein bezahlbareres Gebäude in einem Außenbezirk um. Zugleich gibt es Hinweise, dass auch andere wichtige Unternehmen im Immobiliensektor schwächeln. Shimao, Kaisa, Fantasia, Sinic, Modern Land und Agile ringen darum, Gelder für Kreditrückzahlungen durch Notverkäufe von Vermögenswerten und Projekten aufzubringen. Angesichts der sich ausweitenden Krise gibt es offenbar Überlegungen, Pilotprojekte zur Einführung einer Immobiliensteuer aufzuschieben. 

Der Blick nach vorn: Chinesische Staatsunternehmen haben Vermögenswerte der kriselnden Unternehmen aufgekauft, um diese wieder zahlungsfähig zu machen. Sie übernahmen auch laufende Projekte, um deren Fertigstellung zu sicherzustellen. Womöglich kann durch diese Unterstützung eine Ausweitung der Krise gebremst werden. Doch sie löst nicht das Problem der Verschuldung. Anstatt die Schulden und damit verbundene Risiken zu verringern, verlagern die Maßnahmen die Last auf stabilere Akteure, die dafür entweder direkt bezahlen und damit ihren Kapitalstock verringern, oder Kredite von staatlichen Banken aufnehmen müssen.

MERICS Analyse: „Das Durchgreifen in der Immobilienbranche ist notwendig, wird aber das Wachstum und Selbstvertrauen der Wirtschaft deutlich schwächen“, sagt MERICS Senior Analyst Jacob Gunter. „Wirtschaftliche Stabilität ist das Hauptziel Beijings im Vorfeld des 20. Parteitags, wie es auch bei der Zentralen Arbeitskonferenz zur Wirtschaft im Dezember 2021 festgehalten wurde. Die Behörden werden deshalb versuchen, ein Ausweiten der Krise zu verhindern. Angesichts eines womöglich schwächeren Wirtschaftswachstums könnten sie allerdings versucht sein, das Angehen der Verschuldungsproblematik auf die lange Bank zu schieben.“ 

Medienberichte und Quellen:

REZENSION

Shields of the Republic: The Triumph and Peril of America’s Alliances, von Mira Rapp-Hooper (Harvard University Press, 2020)

Dieses Buch ist lesenswert für alle, sich für die Neuausrichtung der US-Außenpolitik in Bezug auf China interessieren. Die Autorin Mira Rapp-Hooper berät den Planungsstab des US-Außenministeriums und trägt in dieser Funktion dazu bei, den Aufbau neuer internationaler Partnerschaften aufzugleisen. Diesen hatte Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Biden, nach dessen Amtsantritt als wichtiges strategisches Vorhaben genannt.

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump war nicht allein mit seiner Meinung, die Vereinigten Staaten sollten sich in ihrer Außenpolitik weniger auf alte Verbündete verlassen. Trumps Haltung spiegelte die Zweifel vieler US-Bürger darüber, dass ihr Land viel Energie auf die Unterstützung weit entfernter Länder verwendete. Die Begeisterung in den Vereinigten Staaten für die Bildung und Pflege von Bündnissen schien zuletzt gering. 

Alarmiert durch diese Entwicklung hat Rapp-Hooper ein Plädoyer für Bündnisse vorgelegt. In „Shields of the Republic“ analysiert sie die US-Außenpolitik der Vergangenheit und Gegenwart. Sie fokussiert dabei auf Verteidigungsbündnisse. 

Da der Nutzen eines Bündnisses schwer zu messen ist, bedient sich Rapp-Hooper der sogenannten "kontrafaktischen" Analyse. Bei diesem – gewagten – Ansatz führt sie aus, wie sich bestimmte historische Ereignisse entwickelt hätten, wenn es kein Bündnis mit anderen gegeben hätte. Sie will belegen, dass sich Allianzen am Ende lohnen.

Das Problem bei Verteidigungsbündnissen ist heutzutage, dass manche Operationen zum Beispiel von China und Russland sich in einer Grauzone bewegen und von den bestehenden Verträgen nicht erfasst werden. Rapp-Hooper fordert hier anstelle einer Aufkündigung eine Anpassung der oft während des Kalten Krieges entstandenen Vereinbarungen an die heutigen Herausforderungen.

Rezension von Michael Laha, Bundeskanzlerstipendiat

Medienberichte und Quellen:

MERICS CHINA DIGEST

Sri Lanka bittet China um Restrukturierung der Schulden (Reuters)

Sri Lanka hat Beijing angesichts einer gravierenden Finanzkrise im Land um die Restrukturierung seiner Schulden gebeten. China hatte dem südasiatischen Land Kredite in Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt und ist der viertgrößte Gläubiger Sri Lankas. (10.1.2022)

Anti-Terror General in Xinjiang wird Stützpunkt der chinesischen Volksbefreiungsarmee in Hongkong leiten (The Guardian)

Peng Jingtang, der als General Chinas Anti-Terrorismus-Einheiten in Xinjiang führte, wird der neue Stabschef des Stützpunkts der Volksbefreiungsarmee in Hongkong. (10.1.2022) 

Beijings verschärfte Kontrollen besorgen chinesische Tech-Firmen (New York Times)

Chinas anhaltendes Durchgreifen im Technologiesektor hat negative Auswirkungen auf den Unternehmergeist und die Jobmöglichkeiten in der Branche. (5.1.2022) 

Shanghai nimmt Metaversum in Fünfjahrplan auf (CNBC)

Shanghai hat als erste chinesische Stadt kollektive virtuelle Räume, das sogenannte Metaversum, in seinem neuen Fünfjahrplan erwähnt. Laut dem Plan sollen Metaversum-Anwendung in öffentlichen Dienstleistungen, Büros und anderen Bereichen zum Einsatz kommen. (31.12.2021)