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MERICS Briefs
MERICS China Essentials
9 Minuten Lesedauer

Ausblick auf China 2024

INNENPOLITIK

Xis Anti-Korruptionskampagne geht 2024 ins 12. Jahr

„Der Kern der Korruption ist Machtmissbrauch“, sagte Xi Jinping auf einer Sitzung des Zentralen Ausschusses für Disziplinaraufsicht (CCDI) am 8. Januar. Elf Jahre, nachdem er als neuer Partei- und Staatschef Chinas als erstes eine Anti-Korruptionskampagne anstieß, erklärte Xi den Sieg im Kampf gegen die Korruption. Zugleich räumte er anhaltende Probleme ein – in so unterschiedlichen Bereichen wie Partei, Finanzsektor, Tabakindustrie, Medizin, in Staatsunternehmen, Universitäten, im Sport sowie Getreidehandel.

Chinas Anti-Korruptionskämpfer waren vergangenes Jahr schwer beschäftigt und werden es wohl auch weiterhin sein. Von November 2022 bis November 2023 sahen sich 161.000 KPC-Mitglieder staatlicher Kritik und Aufklärung und 113.000 Mitglieder Disziplinar- und Verwaltungsmaßnahmen ausgesetzt. Gegen Verteidigungsminister Li Shangfu wurde Ende 2023, bevor er aus dem Amt verschwand, wegen angeblicher Korruption bei der Auftragsvergabe ermittelt, und andere Enthüllungen erschütterten das Militär. Zwei Ex-Vorsitzende der Staatsbank China Everbright wurden wegen Bestechung mit Strafmaßnahmen belegt.  

Im Vorfeld der CCDI-Sitzung berichteten die parteistaatlichen Medien ausführlich über die Wiederbelebung der Disziplinarmaßnahmen und neue Wege zur Eindämmung der Korruption. Die jüngsten Überarbeitungen der KPC-Disziplinarvorschriften zeigen, wie sehr die Partei ihren Mitgliedern misstraut. So will die KPC die Förderung von lokalem Protektionismus, die Bildung von Fraktionen und Klientelbeziehungen, die Zusammenarbeit mit politischen „Betrügern“, lange Aufenthalte im Ausland ohne triftigen Grund und den Konsum von Inhalten mit „ernsten politischen Problemen“ unterbinden.

MERICS-Analyse: „Ohne eine gewisse Gewaltenteilung, die eine Kontrolle durch unabhängige Aufsichtsgremien ermöglicht, überwacht ein Einparteienstaat wie China sich nur selbst, um systemische Korruption zu verhindern“, sagt MERICS-Analyst Alexander Davey. „In seinem Anti-Korruptionskampf kommt es Xi vor allem darauf an sicherzustellen, dass ‚die Partei niemals zerfällt‘ und nicht darauf, eine faire und transparente Gesellschaft zu schaffen.“

Medienberichte und Quellen:

METRIX

2,08 Millionen

Chinas Bevölkerung ist 2023 um mehr als 2 Millionen geschrumpft, wie das Nationale Statistikamt am Mittwoch bekanntgab. Es ist das zweite Jahr in Folge, dass China einen Bevölkerungsrückgang verzeichnet. Der Einbruch übertrifft die Übersterblichkeit durch die Corona-Pandemie und den wachsenden Anteil der älteren Bevölkerung. Die Sterberate wuchs um 6,6 Prozent, zugleich ging die Geburtenrate jedoch um 5,7 Prozent zurück und liegt damit nur knapp über der von Japan, das massiv mit den Problemen der Überalterung zu kämpfen hat, aber – anders als China – zuerst reich und dann alt wurde.

GEOPOLITIK

Fokus bleibt auf Taiwan nach Wahlsieg der ungeliebten DPP

Der Sieg von Vizepräsident William Lai bei den Wahlen in Taiwan am 13. Januar hat der nach mehr taiwanischer Eigenständigkeit strebenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) eine historische dritte Amtszeit beschert. Die zu erwartenden Reaktionen Chinas lassen befürchten, dass die Stabilität der Region auch 2024 alles andere als garantiert ist. China warnte nach der Wahl erneut vor dem „Kriegstreiber“ Lai und wird Taiwan wohl weiterhin mit wirtschaftlichem Druck und militärischem Säbelrasseln bedrängen. Dabei wird es aber auch bedacht sein, keine globale Krise auszulösen, welche die Vereinigten Staaten auf den Plan rufen könnte.

Es ist zu erwarten, dass Lai sich bemühen wird, die Beziehungen Taiwans zu westlichen und anderen Demokratien zu vertiefen, um Chinas Politik im süd- und ostchinesischen Meer etwas entgegenzusetzen. Beijings erste Reaktion auf das Wahlergebnis war relativ zurückhaltend. Als starke symbolische Geste kann aber die Ankündigung der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Pazifikinsel Nauru nur zwei Tage nach dem Urnengang in Taiwan gewertet werden. Taiwan hat damit nur noch 12 offizielle diplomatische Verbündete, darunter der Vatikanstaat, Guatemala in Mittelamerika und Swasiland im südlichen Afrika.

Beijing wird voraussichtlich den Druck auf Taiwan aufrechterhalten, durch Militärmanöver in der Taiwan-Straße, durch wirtschaftliche Strafmaßnahmen, das Errichten von Handelsbarrieren für weniger wichtige Güter aus Taiwan, aber auch durch sogenannte Grauzonen-Taktiken. Beijing hatte den Ton mit Blick auf sein Ziel einer „Wiedervereinigung“ zuletzt gemäßigt und betont, diese auf friedlichem Wege erreichen zu wollen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Xi Jinping auch mit Blick auf innenpolitische Herausforderungen – wie einem geschwächten Wirtschaftswachstum – derzeit kein Interesse an einer Konfrontation in der Taiwan-Straße hat.

MERICS-Analyse: „China wird bei neuen Drohgebärden gegenüber Taiwan wahrscheinlich auf militärische und wirtschaftliche Maßnahmen zurückgreifen, aber nicht die rote Linie überschreiten, die auch Taipeh und Washington respektieren – also keine einseitige Änderung des Status quo initiieren“, sagt MERICS-Analyst Claus Soong. „Xi hat genügend innenpolitische Probleme und will deshalb übermäßige Spannungen mit Taiwan vermeiden.“

WIRTSCHAFT

Xis Politik in 2024 wird für die Wirtschaft weitere Einschnitte bedeuten

Bei seinem Auftritt auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos warb der chinesische Ministerpräsident Li Qiang nicht nur um ausländische Investoren. Er fasste auch Chinas Wirtschaftspolitik im vergangenen Jahr zusammen – und versprach mehr dergleichen für 2024: „Bei der Förderung der Wirtschaftsentwicklung haben wir nicht auf massive Stimulus-Maßnahmen gesetzt. China nehme keine langfristigen Risiken in Kauf, um kurzfristig Wachstum zu erzielen.“

In der Tat verzichtete Beijing auf größere unterstützende Maßnahmen, wie es sie etwa in der Zeit der globalen Finanzkrise gab, um die wirtschaftliche Stagnation zu beheben. Die Priorität ist die Einhaltung von Ausgabendisziplin angesichts hoher Verschuldung. 2024 wird es wahrscheinlich so weitergehen. Die Führung strebt kein kurzfristiges Wachstum an, sondern wird fokussieren auf die Minderung wirtschaftlicher Risiken, die Stabilisierung des Immobiliensektors und die Reduzierung der hohen Verschuldung von lokalen Regierungen. 

Xis Regierung wird zudem den Druck erhöhen auf Unternehmen, das Ziel der Erreichung von mehr technologischer Unabhängigkeit zu unterstützen. Innovative Privatunternehmen könnten so weniger Ressourcen haben, Produkte zu entwickeln, die von den Verbrauchern tatsächlich nachgefragt werden und die auch Wachstum ankurbeln könnten.

MERICS-Analyse: „Wir sollten für 2024 keine großen Änderungen in der Wirtschaftsstrategie erwarten – das Ziel, Schulden abzubauen, wird voraussichtlich notwendige, aber schmerzhafte Einschnitte bedeuten. Marktwirtschaftliche Mechanismen in ansonsten gesunden Teilen der Wirtschaft werden weiter von den geopolitischen Prioritäten des Parteistaates überlagert“, sagt Jacob Gunter, MERICS Lead Analyst.

Medienberichte und Quellen:

TECHNOLOGIE UND INNOVATION

Für Chinas Ziele im Technologie-Wettbewerb wird 2024 ein kritisches Jahr

Der Technologie-Wettbewerb zwischen China und den USA verschärft sich angesichts der anhaltenden Einschränkungen durch Exportkontrollen, mit denen Washington die Ausfuhr wichtiger High-Tech-Komponenten nach China unterbinden will. Obwohl China Fortschritte bei der Chip-Produktion macht, ist es immer noch von Importen abhängig. Beijing könnte versuchen, die Auflagen zu umgehen und in die heimische Halbleiterindustrie investieren. Für die KPC steht viel auf dem Spiel: das Versprechen technologischen Fortschritts ist für die Partei eine wichtige Legitimierung ihrer Machtstellung. 

Die US-Exportkontrollen sind allerdings auch durchlässig: Einrichtungen des chinesischen Militärs konnten Ende 2023 Chips des US-Produzenten Nvidia kaufen. Laut der Datenfirma CEIC importiert China so viel Ausrüstung für die Halbleiterproduktion wie nie zuvor. Mit der Umgehung der Exportkontrollen riskiert Beijing jedoch noch strengere Beschränkungen. Europa sieht sich in diesem Kontext zunehmend gezwungen, sich für eine Seite zu entscheiden, was viele Länder und Unternehmen lieber vermeiden möchten.

Importe und die Umgehung der Exportkontrollen werden nicht reichen, um genügend Chips für Chinas technologische Ambitionen zu erlangen. Klare Prioritäten und der effizientere Einsatz von Chips werden daher entscheidend sein. China will insbesondere bei der Entwicklung von fortschrittlichen Silizium-Materialien Fortschritte machen. Dazu sind allerdings Innovationen in eine Reihe unterschiedlicher Produktklassen zur selben Zeit nötig, was dieses Szenario kostspielig und schwer umsetzbar macht. 

Beijing wird weiter massiv in Halbleiter und andere Technologien investieren und auch hier Europa in eine schwierige Position bringen. Wenn China erfolgreich ist, werden europäische Produkte für chinesische Unternehmen uninteressant – zugleich würden diese auf Drittmärkten zunehmend mit den Europäern konkurrieren. Geht Chinas Strategie nicht auf, könnte Beijing den Zugang zum eigenen Markt beschränken, was den Marktanteil europäischer Unternehmen gefährdet.

MERICS-Analyse: „Die USA werden die Exportkontrollen und andere Beschränkungen nicht aufheben, daher könnte 2024 einen Wendepunkt in Chinas technologischer Entwicklung markieren,” sagt MERICS-Expertin Antonia Hmaidi. „Für Europa verheißt das nichts Gutes: Es droht mehr Konkurrenz aus China, ein eingeschränkter Zugang zum chinesischen Markt und die Schwierigkeit, die Beziehungen zu China und den USA zu balancieren.“

Medienberichte und Quellen:

IM PROFIL

Liu Jianchao könnte Chinas neuer Außenminister werden

Der Leiter des Internationalen Verbindungsbüros der Kommunistischen Partei Chinas (KPC), Liu Jianchao, war vor kurzem zu Gesprächen mit US-Außenminister Antony Blinken in Washington. Das Treffen fand am Tag vor den Wahlen in Taiwan statt und ist noch aus einem anderen Grund bemerkenswert: der Mann, der China beim ersten ranghohen Treffen mit den USA in diesem Jahr vertrat, war zuvor bislang nur für den internationalen Austausch mit anderen Parteien zuständig. Sein Besuch in Washington könnte darauf hindeuten, dass Liu Chinas nächster Außenminister wird. Seit der Entlassung von Qin Gang Mitte 2023 ist Wang Yi, der wichtigste Diplomat der KPC, zugleich Chinas Außenminister.

Sollte Liu tatsächlich zum Außenminister aufsteigen, könnte dies das Ende von Chinas “Wolfskrieger-Diplomatie” einleiten, deren Vertreter für einen angriffslustigen Ton gegenüber kritischen Stimmen im Ausland bekannt geworden sind.

Liu hat mehr als 30 Jahre Erfahrung in Chinas diplomatischem Dienst. Er gilt als pragmatisch und als jemand, der seine Kommunikation sehr genau abwägt. Diese Eigenschaften könnten an Bedeutung gewinnen für die Bemühungen Beijings, die Beziehungen mit dem Westen zu verbessern und den harten Wettbewerb mit Washington zu beruhigen.

Es waren vor allem zwei Krisensituationen, in denen sich Liu hervorgetan hat. 2009 trug er inmitten einer aufgeheizten nationalistischen Stimmung im Land dazu bei, die Spannungen Chinas mit den Philippinen wegen Gebietsansprüchen im Südchinesischen Meer zu entschärfen. 2015 wurde er zum obersten Aufseher über die Antikorruptionskampagne der KPC im Ausland ernannt. In der auch unter dem Namen „Fuchsjagd” bekannten Kampagne verfolgte Liu korrupte Beamte, die versuchten, das Land zu verlassen.

Nach einem Studium an der Beijing Foreign Studies University und einem Aufenthalt in Oxford begann Liu seine Karriere 1987 im chinesischen Außenministerium. In den 2000er Jahren war er Sprecher des Generaldirektors der Informationsabteilung, danach Botschafter auf den Philippinen und in Indonesien. Später wechselte er in den Parteiapparat und trat 2017 dem Ständigen Ausschuss der KPC in Zhejiang bei, wo er sich auf die Parteidisziplin konzentrierte. 2018 folgte die Rückkehr in die Außenpolitik mit der Ernennung zum Stellvertretenden Leiter des Büros der zentralen Kommission für Auswärtige Angelegenheiten.

Medienberichte und Quellen:

MERICS China Digest

Die strategische Bedeutung von Chinas Raumflugzeug Shenlong (The Diplomat) 

China investiert massiv in Hyperschalltriebwerkstechnologien, um seine Ziele im Weltraum zu erreichen. Die Entwicklung des Raumflugzeugs Shenlong ist entscheidend für die Erprobung von Raumfahrzeugkomponenten, die Weiterentwicklung von Prototypen und das Sammeln von Erfahrungen im Betrieb solcher Objekte gesehen. (12.01.2024)

Im Westen wächst die Sorge vor E-Auto-Konkurrenz aus China (The Economist) 

Chinesische Automobilhersteller, allen voran BYD, machen große Fortschritte auf dem globalen Markt für Elektrofahrzeuge und sollen Berichten zufolge 2023 mehr als fünf Millionen Fahrzeuge exportiert und damit Japan überholt haben. (11.01.2024)

Pinduoduo überholt Alibaba (ECDB)

Pinduoduo hat vor kurzem Alibaba bei der Marktkapitalisierung überholt und ist nun das zweitgrößte E-Commerce-Unternehmen der Welt. Das schnelle Wachstum des Unternehmens wurde durch eine strategische Ausrichtung auf Rabatte, Subventionen und die Expansion auf internationalen Märkten vorangetrieben. (05.01.2024)

Wang Yi fordert in Ägypten Waffenstillstand in Gaza (SCMP) 

Wang Yi besuchte diese Woche vier afrikanische Länder, darunter Ägypten, Tunesien, Togo und Côte d'Ivoire. In Kairo forderte einen Waffenstillstand in Gaza, sprach sich für die Zweistaatenlösung aus und brachte China als Vermittler ins Spiel. (24/01/15)