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MERICS Briefs
MERICS China Essentials
11 Minuten Lesedauer

Marslandung + Nahost-Konflikt + Vermögensverwaltung

Mit dem erfolgreichen Absetzen eines Erkundungsfahrzeugs auf dem Mars ist China seinem Ziel einen großen Schritt näher gelangt, "eine Weltraum-Macht in vollem Umfang" zu werden. Beijing will die wissenschaftlichen, ökonomischen, militärischen und diplomatischen Vorteile seines Raumfahrtprogramms nutzen, das zugleich eine wichtige Quelle des Nationalstolzes und zentral im Wettstreit mit den USA ist. 

Der Rover „Zhurong“ (祝融号) ist Teil von Beijings erster unbemannter Mars-Mission Tianwen-1 (天问一号). Er soll die Topographie, Bodenstruktur, Magnetfelder und das Klima des Roten Planeten erkunden und nach potenziellen unterirdischen Wassereisvorkommen suchen, die in ferner Zukunft eine Besiedlung unterstützen könnten. 

Die Landung ist ein historischer Erfolg für das Raumfahrtprogramm der China National Space Administration. Und sie kommt im 100. Gründungsjahr der Kommunistischen Partei besonders gelegen. Auf der Titelseite der „Volkszeitung“ wurde eine Botschaft von Präsident Xi Jinping abgedruckt, deren Überschrift in roter Farbe gedruckt war. Darin lobte Xi Chinas „Sprung an die Weltspitze bei der Erkundung anderer Planeten" und betonte die Bedeutung der Mission nicht nur für die Menschheit, sondern auch für die „Autonomie Chinas in Wissenschaft und Technologie". 

Chinas Raumfahrtprogramm liegt immer noch hinter den USA zurück, doch Beijing hat massiv investiert: Im vergangenen Jahr landete China als erste Nation auf der Rückseite des Mondes. Nachdem die Volksrepublik vor allem aufgrund von Bedenken der USA wegen Technologiediebstahls von der Internationalen Raumstation ISS ausgeschlossen wurde, startete es am 29. April das Kernmodul seiner eigenen Raumstation, die es für alle Mitglieder der Vereinten Nationen öffnen will. Auch haben Russland und China ein Abkommen über den Bau einer gemeinsamen Forschungsstation auf dem Mond unterzeichnet.

MERICS-Analyse: "Chinas Fortschritte bei interplanetaren Expeditionen sind bemerkenswert. Die Landung auf dem Mars ist eine viel größere technische Herausforderung als die auf dem Mond. Die Tatsache, dass China im Begriff sein könnte, in einer einzigen Mission das zu erreichen, wofür die NASA Jahrzehnte brauchte – das Erreichen der Umlaufbahn, die Landung auf der Oberfläche und der Einsatz eines Rovers – wäre ein symbolischer Sieg für eine Regierung mit ambitionierten Plänen mit Blick auf Technologieführerschaft. Die Bedeutung dieser Mission kann im Zusammenhang mit Beijings Ambitionen, zur Weltmacht aufzusteigen, nicht hoch genug eingeschätzt werden." MERICS-Expertin Rebecca Arcesati.

Medienberichte und Quellen:

China bietet sich als Vermittler im Nahost-Konflikt an

Die Fakten: Angesichts der steigenden Opferzahlen im israelisch-palästinensischen Konflikt hat auch Chinas Außenminister Wang Yi zu einem sofortigen Waffenstillstand aufgerufen. Er bat den UN-Sicherheitsrat, dem China derzeit vorsitzt, bei der Deeskalation der Situation zu helfen. Wang sprach sich für eine Zwei-Staaten-Lösung aus und bot an, zwischen Israel und Palästina zu vermitteln. Er lud beide Seiten ein, in China zu "direkten Gesprächen" zusammenkommen, die Teil eines Vier-Punkte-Vorschlags sind. Beijing will sich in dem Konflikt als alternativer Unterhändler zu den USA präsentieren, denen es vorwirft, Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats zu behindern, um Israel zu schützen.

Der Blick nach vorn: China bietet seit Jahren an, im Nahost-Konflikt zu vermitteln und Vorschläge zur Beilegung zu unterbreiten. 2002 ernannte Beijing erstmals einen Sondergesandten für die Region. 2003 legte Beijing seinen ersten Fünf-Punkte-Vorschlag zum Konflikt vor. Bis heute haben Chinas Vermittlungsangebote keine Ergebnisse hervorgebracht. Beijing hat sich lange auf öffentlichkeitswirksame Aktivitäten und Rhetorik konzentriert, ohne eine aktivere Rolle einzunehmen. Es bleibt abzuwarten, ob China konkretere und umsetzbare Vorschläge für eine Deeskalation und den Beginn von Friedensgesprächen vorlegen wird. Dies scheint zum jetzigen Zeitpunkt jedoch unwahrscheinlich. 

MERICS-Analyse: Beijing nutzt die aktuelle Krise, um sich als verantwortungsvolle globale Macht zu präsentieren, indem es einen – allerdings vagen - Vorschlag zur Beilegung des Konflikts anbietet. China will in der Region das Image eines ehrlichen Maklers aufbauen, da es nicht die gleiche historische Last wie die USA oder europäische Länder mit sich herumträgt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist Beijing jedoch weder willens noch in der Lage, ähnlichen Einfluss wie die USA auszuüben. Denn es müsste sich in einen komplexen und politisch aufgeladenen Streit einmischen, mit dem es wenig bis gar keine Erfahrung hat. 

Mehr zum Thema: "China als Vermittler in globalen Konflikten", Kurzanalyse und Grafik von Helena Legarda (in englischer Sprache)

Medienberichte und Quellen:

Beijing steht wegen Xinjiang zunehmend unter Druck

Die Fakten: Das deutsche Parlament ist am Montag einen Schritt näher an eine Stellungnahme zu Chinas Umgang mit seiner uigurischen Minderheit herangerückt. Der Menschenrechtsausschuss des Bundestages hielt zu Xinjiang eine öffentliche Anhörung ab. Während sich die geladenen Experten weitgehend einig waren, dass es nicht genügend Beweise gibt, um Chinas Vorgehen als Völkermord einzustufen, erfuhr MERICS China Briefing, dass einige Ausschussmitglieder auf eine Abstimmung im Plenum drängen, um die Situation in der Provinz zu verurteilen. Da es bis zu den Bundestagswahlen am 26. September nur noch zwei Sitzungswochen im Juni gibt, ist unklar, ob die Zeit für eine fraktionsübergreifende Verständigung nicht zu knapp wird. 

Einem Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zufolge könnten deutschen Unternehmen Haftungsansprüche drohen, wenn sie mit Unternehmen in Xinjiang Geschäfte machen, die Zwangsarbeit einsetzen. Zuletzt wiesen mehrere Berichte auf die weit verbreitete Zwangsarbeit in der Region hin. Auch bei den Vereinten Nationen wurde die Menschenrechtssituation in der Region diskutiert. Etwa 50 Länder nahmen an einer virtuellen Veranstaltung über die Notlage der Uiguren teil, die von den Delegationen Deutschlands, der USA und Großbritanniens organisiert wurde. China drängte andere UN-Mitgliedern, der Veranstaltung fernzubleiben. 

Der Blick nach vorn: Die chinesische Regierung wehrt sich regelmäßig gegen jede öffentliche Diskussion über mögliche Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang. Chinas Botschafter in Deutschland verurteilte die Anhörung des Bundestagsausschusses zu möglichem Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit als "böswillige Verunglimpfung und politische Manipulation". Beijing dürfte den Druck auf alle Regierungen, Organisationen und Unternehmen erhöhen, die sein eigenes Narrativ in Frage stellen. China strebt nach Diskurshoheit und lässt es inzwischen keine Gegenpositionen zu seiner Lesart der Ereignisse mehr gelten.

MERICS-Analyse: Chinas energisches Zurückweisen der Vorwürfe systemischer Menschenrechtsverletzungen auf internationaler Ebene und das innenpolitische Tabu, das Thema überhaupt zu diskutieren, bedeuten einen Wendepunkt. Da sich Beijing jeglicher Diskussion über das Thema verschließt, dürfte sicher sein, dass das Thema Xinjiang weiter für Konflikte in den internationalen Beziehungen sorgt.

Medienberichterstattung und Quellen:

Projekt zu grenzübergreifender Vermögensverwaltung in Perlflussdelta-Region geplant

Die Fakten: Chinesische Finanzbehörden, darunter die Zweigstelle der chinesischen Zentralbank in Shenzhen, haben am 6. Mai einen Entwurf für das "Wealth Management Connect"-Programm (WMC) veröffentlicht. Das Pilotprogramm ermöglicht Investitionen in Vermögensverwaltungsprodukte in der gesamten sogenannten Greater Bay Area, zu der Hongkong und Macao auf der einen sowie sechs Städte in der Provinz Guangdong auf dem chinesischen Festland zählen. 

Vermögensverwaltungsprodukte sind nicht versicherte Finanzprodukte, die von Banken in Hongkong, Macao und auf dem Festland verkauft werden. Die Begutachtungsfrist für das Pilotprogramm endet am 21. Mai. Die Bewohner der Perflussdelta-Region könnten dadurch von neuen Investitionsmöglichkeiten in Hongkong und Macao profitieren. In der Testphase sind die Investitionsquoten auf CNY 150 Milliarden (EUR 19 Milliarden) festgelegt. Investitionen Einzelner bleiben auf CNY 1 Million begrenzt.

Der Blick nach vorn: Der WMC wird das dritte grenzüberschreitende Investitionsprogramm zwischen Hongkong und dem chinesischen Festland sein, nach 2014 und 2017 eingerichteten Programmen für den Aktien- und Anleihen-Handel. Bisherige Initiativen zwischen dem Festland und Hongkong haben zunächst nur Kapitalzuflüsse nach China und erst später auch Abflüsse zugelassen. Für den WMC soll beides von Beginn an möglich sein. Die Region ist traditionell ein Testgebiet für Öffnungen im Finanzsektor, derzeit wird auch über grenzüberschreitende Modelle im Versicherungsbereich diskutiert.

 MERICS-Analyse: Die Etablierung des Pilotprojekts wäre ein weiterer Schritt zur Integration Chinas in die globalen Finanzmärkte und könnte in einer Belebung von Kapitalströmen, einer größeren Vielfalt an Vermögensverwaltungsprodukten und mehr grenzüberschreitenden Verbindungen resultieren. Die Pläne für den WMC zeigen, dass Chinas Regulierungsbehörden an einer weiteren Öffnung des Kapitalverkehrs interessiert sind. 

Medienberichte und Quellen: 

METRIX

15%

Mehr als fünfzehn Prozent der chinesischen Bevölkerung – etwa 218 Millionen Menschen – haben einen Hochschulabschluss, so steht es in den neuesten chinesischen Volkszählungsdaten. Obwohl China damit immer noch hinter den meisten Industrienationen zurückbleibt (der OECD-Durchschnitt lag 2019 bei 39 Prozent), ist der Anteil doch bemerkenswert: 1997 hatte das Land noch weniger als 3,5 Millionen Hochschulabsolventen und -absolventinnen. Arbeitsplätze für Chinas Uni-Absolventen zu finden, ist jedoch eine Herausforderung. Die Wirtschaft des Landes ist immer noch hauptsächlich auf Arbeiter angewiesen. (Quelle: The New York Times)

Rezension: The War on the Uyghurs. China’s Internal Campaign against a Muslim Minority, by Sean R. Roberts

Chinas Vorgehen gegen ethnische Minderheiten in Xinjiang belastet die internationalen Beziehungen. Die Vereinigten Staaten, Kanada, die EU und Großbritannien haben Beijing wegen Menschenrechtsverletzungen kollektiv sanktioniert. Parlamentarier mancher Länder haben Chinas Vorgehen als „Völkermord“ bezeichnet.

Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen wurden in China eine Million Uiguren und überwiegend muslimische ethnische Minderheiten willkürlich inhaftiert und in Masseninternierungslager gesteckt. Millionen weitere sollen einer ständigen Überwachung ausgesetzt sein.

Vor diesem Hintergrund ist Sean R. Roberts' Buch wichtig und zeitgemäß. Er sprach mit Betroffenen und ehemaligen Häftlingen, analysierte uigurische Quellen und Vorfälle, die von der chinesischen Regierung als extremistisch bezeichnet werden. Aus Sicht des Autors setzt China das Narrativ des globalen Kriegs gegen den Terrorismus als Waffe ein, um sein Vorgehen in Xinjiang zu rechtfertigen.

Die globale militärische Kampagne, die von den USA nach den Anschlägen am 11. September 2001 gestartet wurde, sollte bewaffnete muslimische Fundamentalisten und extremistische Gruppen ins Visier nehmen. Vage Definitionen von "Terrorismus" und "Terrorist" gaben China Raum für seine eigene Interpretation, nach der Uiguren und andere muslimische Minderheiten in Xinjiang als Sicherheitsbedrohung betrachtet und die harten Maßnahmen gegen sie als Anti-Terror-Operationen gerechtfertigt werden.  

Roberts ist Anthropologe und forscht seit mehr als 30 Jahren zu den Uiguren. Er sammelt in seinem Buch Belege dafür, dass die behauptete terroristische Bedrohung in Xinjiang so nicht existiert und von Beijing als Deckmantel für seine harte Xinjiang-Politik genutzt wird. Er schildert chronologisch alle Phasen der Spannungen zwischen Uiguren und dem herrschenden Regime von der Qing-Dynastie bis zum heutigen Tag. Auf diese Weise schafft das Buch Klarheit und Kontext zu einer der zentralen Menschenrechtsfragen, die die globale Politik heute herausfordert.

Rezensiert von Valarie Tan, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, MERICS

MERICS China Digest

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Internationale Beziehungen: