

China-Indien Beziehungen + Export chinesischer KI + Wirtschaftliche Involution
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Xis neuer indischer „Tanzpartner“ verlässt Beijing demonstrativ vor Militärparade
Der indische Premierminister Narendra Modi war bei der Militärparade zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs am Mittwoch in Beijing auffällig abwesend. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping wurde vom russischen Präsidenten Wladimir Putin und anderen Staats- und Regierungschefs zu den Feierlichkeiten begleitet, die wie Modi zuvor am Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) teilgenommen hatten. Die frühe Abreise des indischen Premierministers verdeutlicht, dass sowohl die Annäherung zwischen China und Indien als auch die Übereinstimmung nicht-westlicher Staaten über eine multipolare Weltordnung Grenzen hat. Bei dem Treffen in Tianjin war die Einigkeit der Teilnehmer öffentlichkeitswirksam betont worden.
Modis Reise nach China – seine erste seit sieben Jahren – und das bilaterale Treffen mit Xi wurden als Zeichen einer Verbesserung in den angespannten Beziehungen zwischen China und Indien interpretiert. Zudem wurde die Annäherung als Hinweis auf die wachsende Bedeutung der SOZ als Kooperationsplattform nicht-westlicher Staaten gewertet. Modis versöhnliche Haltung gegenüber China sahen Beobachter als Reaktion Neu-Delhis auf die Ende August von US-Präsident Trump verkündete Verdopplung der Zölle auf indische Importe auf 50 Prozent. Das Treffen mit Modi wurde als diplomatischer Sieg für Xi gewertet. Eine dauerhafte Annäherung zwischen Neu-Delhi und Beijing könnte die sogenannte Quad-Gruppe – bestehend aus den USA, Indien, Japan und Australien – zu einem Dreieck stutzen und die Bemühungen der USA zur Eindämmung Chinas im indopazifischen Raum schwächen.
Bei dem Treffen mit Modi forderte Xi einen gemeinsamen „Tanz des Drachen und des Elefanten”. Die Beziehungen zwischen China und Indien sollten nicht durch langjährige Territorialstreitigkeiten im Himalaya geschwächt werden, sagte Xi. Modi antwortete, Indien und China seien Partner und keine Rivalen. In der gemeinsamen Erklärung zum Ende des Treffens in Tianjin verurteilten die SOZ-Mitgliedstaaten den Terroranschlag in Kaschmir vom April, für den Indien Pakistan verantwortlich macht. Zudem verurteilten sie die Angriffe Israels und der USA auf den Iran – eine ähnliche Erklärung im Juni war aufgrund des Widerstands Indiens nicht einstimmig verabschiedet worden.
Die Hinweise auf ein Zusammenrücken Indiens und Chinas sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Grenzstreitigkeiten weiterbestehen und die beiden Länder in vielen Bereichen Konkurrenten bleiben. Indien versucht, sich als Alternative zu China im Bereich der Fertigung zu positionieren. Die indische Regierung betonte Ende August vor Modis Besuch in Japan die Bedeutung der Quad-Gruppe. Indien lehnte es zudem ab, sich den übrigen SOZ-Mitgliedstaaten anzuschließen und Chinas „Belt and Road“-Initiative in der Tianjin-Erklärung zu unterstützen. Neu-Delhis anhaltende Bedenken hinsichtlich Chinas Einfluss in der unmittelbaren Nachbarschaft Indiens lassen sich nicht so einfach ausräumen.
„Die Teilnahme Modis trug dazu bei, dass Beijing sich bei dem SOZ-Treffen als führende Macht präsentieren, seine Narrative verbreiten und sich als Alternative zum Westen positionieren konnte. Die Annäherung zwischen Indien und China scheint den ‚Tanz des Drachen und des Elefanten‘ in Gang gesetzt zu haben, angesichts der vielen Differenzen werden sie aber vermutlich nicht im gleichen Rhythmus voranschreiten. Modis Abwesenheit am ‚Tag des Sieges‘ war mehr als nur eine Frage der Terminplanung.“
Claus Soong, Analyst, MERICS
- China’s meeting with India and Russia was about more than Trump. Comment piece by MERICS Senior Associate Fellow Manoj Kewalramani
Medienberichte und Quellen:
- Official Chinese Government website [CN]: 上海合作组织成员国元首理事会天津宣言 (Tianjin Declaration of the Shanghai Cooperation Organization)
- Official Chinese Government website [CN]: 习近平会见印度总理莫迪 (Xi Jinping meets with Indian Prime Minister Modi)
- The Strait Times: Xi, Putin and Modi huddle in Tianjin as China pitches SCO unity against shifting US order
- DW: SCO summit: Xi pushes his vision, but is it resonating?
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Vier globale Initiativen hat Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping seit 2021 ins Leben gerufen. Sie flankieren Beijings Bemühungen, eine chinesische Alternative zur von den USA dominierten Weltordnung zu schaffen. Auf dem Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit in Tianjin Anfang dieser Woche präsentierte Beijing seine Initiative für Globale Regierungsführung. Sie ergänzt die bestehenden Initiativen zur Globalen Entwicklung, Globalen Sicherheit und Globalen Zivilisation. Während die Frustration über die Politik der US-Regierung weltweit wächst, unterstreicht Beijing mit seiner neuesten Initiative die Forderung nach einer Reform der internationalen Ordnung. China kritisiert darin die mangelnde Repräsentation des Globalen Südens und Aushöhlung des Völkerrechts und betont die Notwendigkeit einer nachhaltigeren Entwicklung sowie klare Regeln für die Bereiche Künstliche Intelligenz, Cyberspace und den Weltraum. (Quelle: Reuters)
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China will KI-Technologie exportieren, während Demokratien abwarten
Chinas Initiative „Künstliche Intelligenz (KI)+” (人工智能+) sorgt weltweit für Aufsehen. Im August veröffentlichte der Staatsrat einen Dreijahresplan, um Chinas Wirtschaft und Gesellschaft mit KI-Technologien wie KI-Agenten und verkörperter – also in physische Systeme integrierter – KI zu durchdringen. Der Fokus auf die Anwendbarkeit ist seit jeher ein wichtiger Bestandteil der chinesischen KI-Politik, doch ein Aspekt gewinnt zunehmend an Bedeutung: die Verbreitung chinesischer KI-Infrastruktur und -Produkte im Ausland. Chinas Pläne drohen die wirtschaftlichen, politischen und normativen Interessen technologisch fortgeschrittener Demokratien zu untergraben, wenn deren Strategien nicht auch die regionalen KI-Anforderungen des Globalen Südens bedenken.
Während sich der Fahrplan des Staatsrats vorwiegend auf China selbst konzentriert, formulierte Beijing im „Global AI Governance Action Plan“ vom Juli seine Vision für die internationale Zusammenarbeit im Bereich KI. Der Inhalt des Plans war an sich nicht neu, doch die Betonung des Zugangs zu KI als globales öffentliches Gut steht in starkem Kontrast zum Ansatz der USA. Der KI-Aktionsplan des Weißen Hauses, der wenige Wochen vor dem chinesischen veröffentlicht wurde, schweigt sich über die Beteiligung des Globalen Südens an Innovationen und an der Einführung und Regulierung von KI aus.
In Chinas Plänen für die globale KI-Entwicklung und -Governance finden sich zentrale Elemente seiner digitalen Außenpolitik wieder: die Bereitstellung von Infrastruktur und Technologien und der Kapazitätsaufbau im Ausland. Dabei geht es auch darum, die Marktführerschaft chinesischer Unternehmen wie Huawei zu sichern und gleichzeitig in multilateralen Foren einen Konsens für den staatlich gelenkten Ansatz und die Normen der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) zu erzielen. Für viele Entwicklungs- und Schwellenländer sind die erschwinglichen Netzwerkgeräte und Dienste von Huawei, die auf die regionalen Bedürfnisse zugeschnitten sind, äußerst attraktiv.
„Demokratien haben die Wahl: Sie können entweder in einer Welt aufwachen, in der ganze Staaten auf chinesische KI-Infrastruktur angewiesen sind und dadurch ihren kommerziellen, geopolitischen und normativen Einfluss verlieren, wie sie es bei der Telekommunikationsinfrastruktur getan haben – oder sie unternehmen etwas. Viele Staaten wollen eine sichere und erschwingliche KI, die auch für sie funktioniert, nicht nur für die großen US-Technologieunternehmen.
Rebecca Arcesati, Lead Analyst, MERICS
- There’s been a shift in US-China tech competition – and it’s not good news for the rest of the world. MERICS Comment by Rebecca Arcesati and Antonia Hmaidi
Medienberichte und Quellen:
- State Council [CN]: Guiding Opinions on the In-Depth Implementation of the “Artificial Intelligence+” Action
- State Council [CN]: Action Plan for Global Governance of Artificial Intelligence
Erfolgreiches Vorgehen gegen Preiskampf bei Lieferdiensten nicht einfach auf andere Branchen übertragbar
Während die chinesische Industrie mit dem harten heimischen Wettbewerb und der sinkenden Rentabilität aufgrund von Überkapazitäten zu kämpfen hat, ist es Beijing erstmals gelungen, das Phänomen der sogenannten wirtschaftlichen Involution in einer Branche einzudämmen – in diesem Fall bei Kurierdiensten. Nachdem das Staatliche Postbüro, lokale Behörden und Branchenverbände – unter anderem mit Mindestpreisregelungen – gegen eine Spirale aus niedrigen Gewinnen und geringer Innovationskraft vorgegangen waren, stiegen Zustell-Tarife in wichtigen Regionen wieder an. Da das Politbüro vor einem „bösartigen ‘Involutions’-Wettbewerb“ warnt, dürfte die Regierung den Erfolg auf andere Branchen übertragen wollen.
Was in einem Kontext funktioniert, muss jedoch nicht automatisch auch in einem anderen erfolgreich sein. Involution – wenn Unternehmen immer mehr produzieren, ohne dabei echtes Wachstum zu schaffen – kann auf zwei Wegen entstehen: Erstens durch einen Silicon-Valley-Ansatz des Wettbewerbs, bei dem massive Verluste (getragen von Investoren) in Kauf genommen werden, um schnell Marktanteile zu gewinnen und Konkurrenz zu verdrängen. Zweitens durch ein Muster von Überinvestitionen und industrieller Überkapazität, bei dem Unternehmen weiter produzieren und Verluste hinnehmen (die durch lokale Subventionen ausgeglichen werden), während sie darauf warten, dass schwächere Wettbewerber aufgeben.
Der Kurierdienstsektor leidet unter der ersten Art der Involution, bei der ein großes Angebot auf eine ebenso hohe Nachfrage trifft. Daher konnten die Behörden relativ leicht Abhilfe schaffen, indem sie Unternehmen daran hinderten, die Preise künstlich zu senken. Durch die gleichbleibende Nachfrage konnte verhindert werden, dass eines der Unternehmen in Konkurs gehen musste. Solche einfachen Maßnahmen sind jedoch in der Fertigungsindustrie wahrscheinlich nicht wirksam, die von der zweiten Art der Involution betroffen ist. Da das ständig wachsende Angebot die stabile Nachfrage übersteigt, werden die Preise auf ein äußerst niedriges Niveau gedrückt. Preiseingriffe würden zum Scheitern der weniger effizienten Unternehmen führen und hätten wahrscheinlich Massenentlassungen zur Folge, die politisch unerwünscht sind.
„Weil Angebot und Nachfrage in der Kurierdienstbranche ausgeglichen sind, ist die Erhöhung der Preise ein akzeptabler Schritt. Um jedoch beispielsweise die Involution im Bereich der Elektrofahrzeuge zu stoppen, müssten die Unternehmen ihre Preise erhöhen, was genau das zerstören würde, womit weniger hochwertige Hersteller bei Verbrauchern punkten: spottbillige Preise, die durch staatliche Subventionen ermöglicht werden. Dies würde einige Unternehmen zur Schließung zwingen und zum Verlust von Arbeitsplätzen führen, was die chinesische Regierung um jeden Preis vermeiden will.“
Jacob Gunter, Leiter des Programms für Wirtschaft und Industrie, MERICS
Medienberichte und Quellen:
Beijing setzt auf neue Urbanisierungsmaßnahmen für wirtschaftliche Erholung
Vergangene Woche hat Beijing neue Richtlinien zur Umgestaltung chinesischer Städte bis 2035 veröffentlicht, die von zentraler Bedeutung für die Wiederbelebung der Wirtschaft sind. Die Maßnahmen zielen darauf ab, die Binnennachfrage anzukurbeln. Ob Beijing damit Erfolg haben wird, hängt letztlich von den lokalen Behörden ab. Es wird darauf ankommen, die Maßnahmen den tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort entsprechend umzusetzen, anstatt Projekte zu begünstigen, die lediglich schnelle Einnahmen generieren. Seit der dritten Plenartagung des 20. Zentralkomitees der KPC im vergangenen Jahr hat Beijing der Stadterneuerung eine hohe Priorität beigemessen und sieht darin einen Hebel, um die strauchelnde Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und wirtschaftliche Stabilität sicherzustellen.
Die Richtlinien folgen auf eine Reihe hochrangiger Treffen und politischer Maßnahmen zur Stadtentwicklung. Sie rufen Städte dazu auf, sich auf Wirtschaftszweige zu konzentrieren, die ihren Stärken entsprechen, Doppelarbeit und die Fehlallokation von Ressourcen zu bekämpfen und ungenutzte Infrastruktur umzuwidmen, um Verschwendung zu reduzieren. Wirtschaftliche Maßnahmen sollen der Stadterneuerung dienen. So soll zum Beispiel die Renovierung alter Wohnkomplexe die Nachfrage im Immobilien- und Bausektor ankurbeln.
Die Maßnahmen haben mit dem Ziel, insbesondere benachteiligte Bevölkerungsgruppen stärker zu fördern, auch eine starke gesellschaftliche Komponente, beispielsweise indem sie Wanderarbeitern aus ländlichen Gebieten einen Zugang zur Renten- und Gesundheitsversorgung ermöglichen. Gerechte Ergebnisse werden aber der Erfahrung nach eher durch den politischen Willen vor Ort als durch Vorschriften von oben erzielt, da lokale Regierungen oft Ausgaben zur Generierung von Einnahmen priorisieren, manchmal auf Kosten der von der Zentralregierung vorgegebenen politischen Ziele.
„Bei der Mittelzuweisung auf lokaler Ebene könnten kurzfristige, Einnahmen generierende Projekte gegenüber Verbesserungen in Wohngebieten für Wanderarbeiter priorisiert werden, was der Ankurbelung des Konsums im Weg stehen würde.“
Alexander Davey, Analyst, MERICS
Medienberichte und Quellen:
MERICS China Digest
Taiwan weist auf enorme Kosten der chinesischen Militärparade hin (Reuters)
Der taiwanesische Mainland Affairs Council schätzte die Kosten für die große Militärparade in Beijing diese Woche auf 36 Milliarden CNY (4,3 Milliarden EUR), was zwei Prozent des offiziellen Verteidigungsbudgets Chinas für 2025 entsprechen würde. (01.09.2025)
Roboter aus heimischer Produktion tragen zum weltweiten Exportboom Chinas bei (Financial Times)
Chinas Roboterhersteller ermöglichen es Fabriken, weiterhin arbeitsintensive Güter zu wettbewerbsfähigen Kosten zu produzieren. Trotz steigender Löhne konnte China seine weltweiten Marktanteile bei mehreren arbeitsintensiven Produkten zwischen 2019 bis 2023 ausbauen. (02.09.2025)
China verlängert Untersuchung zu EU-Milchprodukten (Reuters)
Beijing hat seine Antisubventionsuntersuchung zu Milchimporten aus der EU um weitere sechs Monate verlängert. Die Untersuchung ist ein Schachzug Beijings im Handelskonflikt mit Brüssel und Washington, der seit der Einleitung einer Antisubventionsuntersuchung der EU zu chinesischen Elektrofahrzeugen 2023 fortbesteht. (25.08.18)