Over one hundred million doses of COVID-19 vaccines are injected in China
MERICS Briefs
MERICS China Essentials
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Chinas stockende Impfkampagne + Hongkonger Wahlsystem + Telefonat zwischen Merkel und Xi

Top-Thema: Chinas Öffentlichkeit misstraut einheimischen Covid-Impfstoffen

Obwohl China als eines der ersten Länder weltweit seinen Bürgern Impfungen gegen Corona anbieten konnte, ist in der Volksrepublik ein deutlich geringerer Teil der Bevölkerung geimpft als in den USA oder Großbritannien. Anfang April waren erst 150 Millionen Impfungen vergeben, das sind 12 Dosen pro 100 Einwohner (in den USA liegt dieser Anteil bei 57, und in Großbritannien bei 60).

Der Grund für die schleppende Impfkampagne liegt in mangelndem Vertrauen der Bevölkerung in einheimische Wirkstoffe. Sicherheitsbedenken, Angst vor Nebenwirkungen, Impfskandale in der Vergangenheit und die geringe Ansteckungsgefahr werden als Ursachen für das Zögern der Bürger genannt. Auch liegen bislang nur wenige detaillierte Daten über die Wirksamkeit der chinesischen Covid-19-Impfstoffe vor.

Jüngst meldete sich der Direktor des Chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und Prävention zu Wort und räumte ein, dass die Schutzwirkung der einheimischen Vakzine begrenzt sei. Er fügte später hinzu, dass er lediglich ausdrücken wollte, dass das Kombinieren verschiedener Impfstoffe die Wirkkraft noch steigern könnte – doch diese Anmerkung wird die Bedenken in der Bevölkerung wohl nicht zerstreuen.

Chinas Führung stellt diese Entwicklung vor Probleme: Wegen der anstehenden Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) wurde das Ziel formuliert, bis zum Sommer 40 Prozent der Bevölkerung geimpft zu haben. Um dieses zu erreichen, arbeiten die Behörden mit einer Mischung von Anreizen und Zwang. So haben zum Beispiel Nachbarschaftskomitees in Beijing Impfwilligen kostenlose Eier versprochen. In Hainan wurde dem Personal eines Krankenhauses mit der Kündigung gedroht, sollten sie eine Impfung verweigern. Mindestens eine chinesische Stadt hat Impfungen nach Ausbrüchen verpflichtend gemacht.

Es gibt aber auch Widerstand gegen dieses Vorgehen: In einem Ort in Hainan musste Berichten zufolge nach öffentlicher Kritik eine behördliche Entscheidung zurückgenommen werden, nicht Geimpften den Zutritt zu Hotels und öffentlichen Verkehrsmitteln zu verweigern.

MERICS-Analyse: 1,3 Milliarden Menschen eine Covid-19-Impfung anzubieten, ist zweifellos eine Mammutaufgabe. Wenn China nun mit einer Mischung aus Anreizen und Zwang seine Bürger dazu bringen will, den einheimischen Impfstoffen zu vertrauen, zeigt dies auch die Grenzen der „Impfdiplomatie“ im In- und Ausland auf. China verfolgt eine Art von Impf-Nationalismus, wenn es zum Beispiel nur Menschen ins Land lässt, die mit chinesischen Vakzinen geimpft sind. Genau dieser Ansatz könnte jetzt dazu beitragen, dass China im Vergleich zu anderen Ländern zurückfällt, die schon ihre gesamte Bevölkerung geimpft haben und nun „Impfpässe“ voranbringen.

Medienberichte und Quellen:

Tiefgreifende Wahlrechtsreform in Hongkong tritt in Kraft

Die Fakten: Der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses hat weitreichende Änderungen des Wahlsystems in Hongkong verabschiedet. Durch die am 31. März veröffentlichten Änderungen werden das Wahlverfahren und die Zusammensetzung des Wahlausschusses, der die Regierungschefin der Stadt bestimmt, sowie des Parlaments angepasst und Beijings Interessen gestärkt. Zudem soll ein neuer Prüfungsausschuss die „patriotische“ Haltung von Abgeordneten sicherstellen.

Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam begrüßte die Reform als Schritt zu mehr Demokratie und einem allgemeinen Wahlrecht. Die Hongkonger Behörden werden die Neuerungen in den kommenden Monaten konkretisieren. Die ursprünglich für September 2020 angesetzten Parlamentswahlen wurden zum zweiten Mal verschoben, nun auf Dezember 2021.

Der Blick nach vorn: Die neuen Anforderungen ermöglichen den Ausschluss von Beijing unliebsamen Kandidaten und machen es für Kritiker Beijings nahezu unmöglich, sich ernsthaft an der Hongkonger Politik zu beteiligen. Im Oppositionslager werden daher bereits Boykottaufrufe diskutiert.

Die Führungen in Beijing und Hongkong dürften auch dies als Bedrohung ihrer Autorität und Gefahr für die nationale Sicherheit auslegen. Letztere wird von der Zentralregierung sehr weit definiert. Laut Entwürfen soll zivilem Ungehorsam vorgebeugt werden, indem Aufrufe zur Abgabe leerer Stimmzettel und Wahlboykott verboten werden.

MERICS-Analyse: Die Wahlrechtsreform wird nicht die letzte tiefgreifende Reform in Hongkong bleiben. In einem Interview mit der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua teilte Lam mit, dass unter anderem die Bereiche Bildung, Medien und Beamtenausbildung „verbessert“ werden müssten. Es ist zu erwarten, dass Beijings weitgefasste Interpretation von nationaler Sicherheit zunehmend auf Presse- und akademische Freiheit in Hongkong angewandt wird.

Merkel-Xi Gespräch: Chinesische Experten zu "strategischer Autonomie"

Die Fakten: Zwei Wochen nach den beidseitig verhängten Sanktionen zwischen China und der EU haben Chinas Präsident Xi Jinping und Bundeskanzlerin Angela Merkel erstmals miteinander telefoniert. Dabei kamen weder die jüngste Eskalation in den EU-chinesischen Beziehungen noch deren möglicher Einfluss auf die Ratifizierung des Investitionsabkommens CAI zur Sprache.

Die Politiker sprachen unter anderem das Thema der „strategischen Autonomie“ Europas an. Der Begriff wird in China offenbar anders ausgelegt: Ein chinesischer Experte definierte ihn als das Bemühen, "die Einmischung der USA zu vermeiden und mit internen Meinungsverschiedenheiten über die China-Politik innerhalb der EU ordentlich umzugehen". Andere betonten, Deutschland sei in seinen Beziehungen zu China auf dem richtigen Weg. Merkels pragmatische Herangehensweise würde sich "positiv auswirken" auf Frankreich und den Rest Europas, so die Hoffnung der chinesischen Experten.

Der Blick nach vorn: Sowohl Beijing als auch Berlin bestätigten die nächste Runde der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen Ende April. Dennoch ist die Situation in der China-Politik gespannt, wie die von den USA angefachte Diskussion um einen möglichen Boykott der olympischen Winterspiele in Beijing zeigt.

Im Sommer wird zudem Jan Hecker neuer deutscher Botschafter in China. Der Ministerialdirektor berät Merkel seit drei Jahren in außenpolitischen Fragen, zuvor leitete er den Koordinierungsstab Flüchtlingspolitik im Kanzleramt.

MERICS-Analyse: Xis Aufruf an Deutschland und Europa, sich „unabhängiger“ zu positionieren, spielt auf die aktuellen Spannungen zwischen China und den USA an. Die chinesische Regierung möchte nicht, dass die EU ihren Kurs in der China-Politik an den USA ausrichtet.  Die deutsche Politik steht vor einem Dilemma: Einerseits gibt es das Bestreben, transatlantisch enger zusammenzuarbeiten. Andererseits ist China Deutschlands größter Handelspartner, und Berlin hat ein Interesse an stabilen bilateralen Beziehungen.

Medienberichte und Quellen:

Rekordstrafe für Alibaba signalisiert strengere Kontrollen für Chinas Internetgiganten

Die Fakten: Der Konzern Alibaba ist ins Visier einer weitreichenden Kartellrechtskampagne geraten: Chinas Marktaufsichtsbehörde verhängten wegen Marktmissbrauchs eine Rekordstrafe von CNY 18,2 Mrd. (~ EUR 2,3 Mrd.) gegen die Alibaba-Gruppe.  Wie die staatliche Behörde für die Marktregulierung (SAMR) am 10. April nach einer viermonatigen Untersuchung mitteilte, soll der Internetkonzern Händler gezwungen haben, zwischen seinen eigenen E-Commerce-Plattformen und denen seiner Konkurrenten zu entscheiden. Gleichzeitig nutze Alibaba Daten und Algorithmen, um sich einen "unzulässigen Wettbewerbsvorteil" zu verschaffen.

Der Blick nach vorn: Trotz der Ankündigung stieg die Aktie des Unternehmens am darauffolgenden Montag um acht Prozent. Das bedeutet jedoch nicht, dass der E-Commerce-Riese über den Berg ist. Alibaba muss jetzt eine Reihe interner Korrekturen umsetzen und Selbstregulierungsberichte bei der SAMR einreichen. Die Aufsichtsbehörden könnten auch die vergangenen Akquisitionen des Konzerns unter die Lupe nehmen und deren Rückabwicklung verlangen. Chinas Zentralbank hat schon angekündigt, dass Alibabas Tochtergesellschaft Ant Group umstrukturiert werden muss. Der Finanzdienstleister ist eines der ersten Zielobjekte der Kampagne zur Zügelung von Tech-Giganten.

MERICS-Analyse: Die Strafe für Alibaba ist ein Warnschuss für Chinas Internetgiganten. Umfassende behördliche Kontrollen und Strafen sind zur Regel geworden, da die Regierung versucht, unlauteren Wettbewerb einzudämmen und den Verbraucherschutz zu stärken. Trotz der Rekordhöhe macht die Strafe nur vier Prozent des Inlandsumsatzes der Alibaba-Gruppe aus. Sie liegt damit weit unter den möglichen zehn Prozent. Insgesamt unterstützt die Regierung weiterhin digitale Plattformen, da sie diese als zentrale Motoren für den wirtschaftlichen Fortschritt sieht. Doch die Botschaft ist klar: Digitale Plattformen können nur dann florieren, wenn sie sich an die Regeln  halten.

Mehr zu dem Thema: MERICS China Industries Briefing (March 2021)

Medienberichte und Quellen:

Abkommen mit dem Iran wird Chinas Balanceakt im Nahen Osten nicht durcheinanderbringen

Die Fakten: Chinas Präsenz im Nahen Osten ist in den vergangenen zehn Jahren signifikant gewachsen. Ursprünglich galt Beijings Hauptinteresse der Absicherung von Öllieferungen. Inzwischen jedoch ist Chinas wirtschaftliches Engagement in der Region breiter gefächert. Auch auf sicherheitspolitischer Ebene gibt es – vorsichtige – Kooperationen. Die Reise des chinesischen Außenministers Wang Yi in die Region Ende März setzte diesen Trend fort. Zu Wangs Stationen zählten Saudi-Arabien, die Türkei, der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und der Oman.

Im Iran unterzeichnete Wang ein auf 25 Jahre angelegtes Kooperationsabkommen mit Teheran, das westlichen Medien zufolge ein Volumen von USD 400 Mrd. umfasse könnte. In den Gesprächen mit dem saudischen Kronprinzen scheinen sich beide Länder auf das gemeinsame Interesse konzentriert zu haben, sich gegen eine "Einmischung" in ihre inneren Angelegenheiten zu wehren. Wang bedankte sich in Riad für die Unterstützung von Chinas Xinjiang-Politik.

Der Blick nach vorn: Chinesische Außenpolitik-Experten warnen eindringlich vor einem zu weitgehenden Engagement Chinas im Nahen Osten. Beijing kritisiert zugleich offen die Interventionen der USA in der Region. Das Iran-Abkommen deutet klar in Richtung einer weiteren Vertiefung des wirtschaftlichen Engagements und der Sicherheitskooperation. 

MERICS-Analyse: Für Beijing sind die Kooperationen mit den untereinander zum Teil rivalisierenden Ländern in der Region ein Balanceakt. Dem international isolierten Teheran ist sehr an engeren Beziehungen zu China gelegen. Beijing unterhält aber auch umfassende strategische Partnerschaften mit Irans Rivalen Saudi-Arabien. Obwohl die jüngste Vereinbarung eine positive Antwort auf die langjährigen Forderungen Teherans nach einer Vertiefung der Zusammenarbeit darstellt, bleibt abzuwarten, ob sich daraus etwas Konkretes ergeben wird. 

Medienberichte und Quellen:

METRIX

49 %

Im ersten Quartal 2021 sind die chinesischen Exporte im Vergleich zum Vorjahr um 49 Prozent gestiegen. Dies deutet nicht auf eine enorme Ausweitung des Handels hin, sondern spiegelt eine Rückkehr zur Normalität wider. Aufgrund des Coronavirus-Ausbruchs waren die Exporte Anfang 2020 stark zurückgegangen.

REZENSION: Chinas Rolle in der Kriegsführung im Cyberraum: „This is how they tell me the world ends – The cyber weapons arms race“, von Nicole Perlroth

Die Autorin gibt einen fundierten und ziemlich beängstigenden Einblick in einen nicht erklärten Krieg, der im Cyberspace tobt und zu einer prekären Pattsituation zwischen den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten sowie China, Russland, dem Iran und Nordkorea geführt hat. Vor allem China setzt seine Cyber-Fähigkeiten erfolgreich für seine eigenen Zwecke ein.

Unsere Wirtschaft und Gesellschaft sind durch das Internet immer enger vernetzt, und damit wächst auch unsere Verwundbarkeit gegenüber Angriffen.  Indem sie unentdeckte Sicherheitslücken aufspüren, können Hacker Spionage betreiben und großen Schaden anrichten. Das Ausnutzen sogenannte „Zero Day“-Lücken macht gefährliche Angriffe möglich: Die Geheimdienste der US-Regierung haben für ihre eigenen Spionage- und Sabotagezwecke eine Vielzahl solcher Lücken gesammelt. Auch andere Regierungen sind auf dem Schwarzmarkt für „Zero Day“-Exploits aktiv, der von Hackern weltweit versorgt wird.

Die chinesische Regierung verfolgt mit Zero-Day-Angriffen zwei Hauptziele. Zum einen will Beijing US-Technologien abschöpfen und sich Zugang zu sensiblen Daten verschaffen. Zum anderen geht es darum, die eigene Bevölkerung zu kontrollieren, darunter Uiguren, Tibeter, Falun-Gong-Anhänger und politische Dissidenten. Wie Perlroth berichtet, ist China dabei überaus erfolgreich. Mit Hilfe von Informationen aus US-Atomwaffeneinrichtungen konnte das Land demnach mit dem US-Atomwaffenprogramm aufschließen. Perlroth schildert auch, wie China im Vorgehen gegen die uigurische und tibetische Opposition über von Angehörigen dieser Gruppen häufig genutzten Websites Spionagesoftware auf iPhones einbrachte. 

Im Jahr 2016 plünderten noch nicht identifizierte Hacker die von den USA gesammelten „Zero Day“-Lücken - ein katastrophales Sicherheitsversagen, das dazu führte, dass die Werkzeuge der Spionage und Sabotage für jeden verfügbar wurden, der bereit war, dafür zu zahlen. Bisher haben die Angreifer Zurückhaltung geübt, vermutlich aufgrund ihrer eigenen Cyber-Schwachstellen. Wie zur Zeit des Kalten Krieges, wenn auch auf eine andere Weise, scheint eine gefährliche Spirale der gegenseitigen Zerstörung in Bewegung zu geraten, so das pessimistische Fazit der Autorin.

Rezension von Hanns W. Maull, Senior Associate Fellow bei MERICS

IM PROFIL: Auf dem Vormarsch in China und im Ausland: WuXi Biologics

Das Unternehmen WuXi Biologics ist auf Expansionskurs: Der chinesische, in Hongkong börsennotierte Anbieter von hochmodernen pharmazeutischen Wirkstoffen kaufte Anfang vergangenen Jahres von Bayer eine Arzneimittel-Produktionsanlage in Leverkusen. Im Dezember folgte ein Deal mit Bayer zum Erwerb eines Standorts in Wuppertal, wo WuXi nach eigenen Angaben unter anderem an Covid-Impfstoffen forschen will. Zurück auf heimischem Boden erwarb WuXi im März dieses Jahres eine von Pfizer gebaute Fabrik in Hangzhou in der Provinz Zhejiang. Die Fabrik soll kostengünstige Biologika für den chinesischen Markt herstellen.

Biologika sind organische Produkte wie Impfstoffe, Blut, Allergene und Gewebe, die aus natürlichen Quellen isoliert und mittels Biotechnologie hergestellt werden. Sie gelten als vielversprechend für eine Reihe von Krankheiten, für die es derzeit keine Behandlung gibt. Die Nachfrage nach diesen Produkten wächst in China, und erst kürzlich wurden die Regulierungsprozesse zur Prüfung von Produktkandidaten reformiert, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.

Li Ge, der 54-jährige CEO und Gründer von WuXi Biologics, ist ein Selfmade-Milliardär und eine Schlüsselfigur in der US-chinesischen Biotechnologie-Landschaft. Er promovierte an der Columbia University und ist US-Bürger. Seinen Wohnsitz hat er in Shanghai.

WuXi Biologics baut nicht nur in China und Deutschland, sondern auch in Irland, den Vereinigten Staaten und Singapur Kapazitäten auf. Im Rahmen des Kampfes gegen Covid-19 ist der Aufkauf von Produktionsanlagen von Bayer und Pfizer auch strategischer Bestandteil der Bemühungen, die nationalen Impfanstrengungen in China zu stärken.

Medienberichte und Quellen: