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MERICS Briefs
MERICS China Essentials
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EU-Gipfel + Exportkontrollen + Außenpolitikgesetz

Top Thema

Nach EU-Gipfel: Verringern von Risiken im Umgang mit China bleibt schwierig

In der Debatte um die Schärfung der EU-China-Politik haben auf dem Gipfeltreffen des EU-Rats vergangene Woche versöhnliche Töne gegenüber China das Bild bestimmt. Die 27 Staats- und Regierungschefs betonten in der Abschlusserklärung die Notwendigkeit von Ausgewogenheit und Gegenseitigkeit – Formulierungen, die sich deutlich abheben von Vorstößen der EU-Kommission. Diese hatte im März eine Strategie der „Risikominderung" angemahnt und darauf gedrängt, dass strategische Abhängigkeiten verringert und Maßnahmen zum Schutz der EU-Wirtschaft eingesetzt werden müssten. Der Dialog mit China müsse, bei aller Offenheit für selektive Zusammenarbeit mit China, selbstbewusster sein.

In einem Zugeständnis an die Position der Kommission bekräftigte der EU-Rat ebenfalls die Notwendigkeit, „Risiken abzubauen und zu diversifizieren, wo dies notwendig und angemessen ist". Die Kommission hatte das „De-risking“ als Kernstück der künftigen Politik gegenüber einem China formuliert, das „zu Hause repressiver und nach außen hin selbstbewusster" werde. Die Mitgliedsstaaten verzichteten indes auf dem Gipfel am vergangenen Freitag auf solch klare Zuweisungen.

Dies zeigt, dass die Kommission noch viel Arbeit vor sich hat, um die europäischen Hauptstädte von ihrem Ziel eines stärker geeinten Auftretens gegenüber China zu überzeugen. Nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell soll die Aktualisierung der EU-China-Politik beim EU-Außenminister-Rat im Juli auf der Agenda stehen. Borrells für den 10. Juli geplante Reise nach China wurde indes von Beijing abgesagt, ein neuer Termin steht nicht fest.

Die Staats- und Regierungschefs der EU zeigten auf dem Gipfeltreffen auch eine gewisse Bereitschaft zu einem selbstbewussteren Vorgehen im Umgang mit China.  Mit Blick auf die russische Invasion in der Ukraine riefen sie Beijing auf, Moskau zu drängen, seine Truppen „unverzüglich, vollständig und bedingungslos" aus der Ukraine abzuziehen. Der chinesische Vorschlag einer "politischen Lösung" stieß auf Ablehnung. Im Zusammenhang mit den verschärften Spannungen um Taiwan sprach sich der Rat gegen einseitige Änderungen des Status quo der Insel aus. Dies gelte nicht nur im Fall des Einsatzes von Gewalt, sondern von jeglicher Art des „Zwangs“. Die Formulierung ermöglicht es, Beijing auch im Fall niedrigschwelliger Aktionen mit Bezug auf Taiwan zu kritisieren.

MERICS-Analyse: „Der EU-Rat hat mit Blick auf zuletzt versöhnliche Töne aus Beijing, die auf stabile Wirtschaftsbeziehungen abzielen, auf konfrontative Rhetorik verzichtet. Aber für eine glaubwürdige neue China-Politik muss die EU gegenüber China langfristig durchsetzungsstärker auftreten", sagt MERICS-Experte Grzegorz Stec. „Die Kommission will im Herbst eine Bewertung vorlegen, um die Agenda der Risikominderung mit Leben zu füllen. Bis dahin sollte die EU ihre 2019 formulierten zehn Aktionspunkte zum Umgang mit China aktualisieren, um Antworten für dortige innenpolitische und die geopolitischen Veränderungen der vergangenen Jahre zu haben."

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Medienberichte und Quellen:

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Das ist das Kopfgeld in der lokalen Währung Hong Kong Dollar, das die Hongkonger Polizei kürzlich auf jeden der acht pro-demokratischen, im Ausland lebenden Aktivisten ausgesetzt hat. Die Haftbefehle wurden wenige Tage nach dem dritten Jahrestag der Einführung des drakonischen Sicherheitsgesetzes in Hongkong durch Beijing ausgestellt und richten sich vor allem auf politischen Aktivismus und Dissens, der erst rückwirkend strafbar wurden oder im Ausland stattfand. Die ehemaligen Hongkonger leben jetzt unter anderem in Großbritannien, den USA und Australien. (Quelle: Reuters, Al Jazeera)

Mehr zum Thema: Three years of National Security Law in Hong Kong: Farewell “special status”? MERICS-Kommentar von Sophie Reiss.

Themen

Niederlande beschränken Exporte von Chip-Anlagen nach China

Die Fakten: Die Niederlande haben am 30. Juni seit längerem erwartete Ausfuhrbeschränkungen für Maschinen zur Halbleiter-Produktion veröffentlicht. Schon vor einigen Monaten hatten sich Den Haag, Washington und Tokio auf Exportkontrollen für bestimmte Chip-Fertigungsanlagen geeinigt und dies mit nationalen Sicherheitsinteressen begründet. Der niederländische Branchenführer ASML braucht künftig eine Genehmigung, um neuere Versionen seiner Anlagen für die DUV-Lithografie-Anlagen (Deep Ultra Violet) nach China zu liefern. Das gilt auch für den Maschinenbauer ASM International und dessen Depositionsanlagen. Die Niederlande erwarten, dass pro Jahr nur 20 bis 25 Exportlizenzen angefragt werden. Beijing wirft unterdessen Washington vor, seine Verbündeten zur Eindämmung Chinas und Entkopplung vom Land zu drängen.

Der Blick nach vorn: Auch wenn China darin nicht explizit erwähnt wurde, zielen die Beschränkungen aus Sicht von Beobachtern offensichtlich auf chinesische Chip-Produzenten ab. Noch unklar ist, ob die USA andere Länder zu noch strengeren Beschränkungen zwingen werden, indem sie nationale Gesetze auf Unternehmen außerhalb ihrer Grenzen anwenden. Laut einem Medienbericht erwägt Washington, sechs chinesische Chip-Fabriken von ausländischen Produkten abzuschneiden, obwohl diese nur einen sehr geringen Anteil von US-Technologien enthalten. Das könnte unter anderem den Export älterer DUV-Modelle von ASML verhindern. Eine Woche vor der Ankündigung der Niederlande hatte die EU-Kommission ihre Strategie für wirtschaftliche Sicherheit vorgestellt. Diese zielt darauf ab, Mitgliedstaaten vor wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen anderer Länder zu schützen.

MERICS-Analyse: „Sollten die USA weitere unilaterale Schritte unternehmen und dabei auf die Gültigkeit ihrer Gesetze im Ausland pochen, käme das in Europa nicht gut an. Schwierige Verhandlungen hierzu liegen erst wenige Monate zurück“, sagt MERICS-Expertin Rebecca Arcesati. „Das könnte es der EU-Kommission erschweren, Länder wie Deutschland von gemeinsam koordinierten Exportkontrollen für kritische Technologien zu überzeugen.”

Medienberichte und Quellen:

China verhängt Ausfuhrkontrollen für wichtige Rohstoffe Gallium und Germanium

Die Fakten: Chinas Handelsministerium (MOFCOM) hat Ausfuhrbeschränkungen für Gallium und Germanium angekündigt. Ab dem 1. August müssen Unternehmen eine Lizenz für den Export dieser Rohstoffe beantragen. Gallium und Germanium werden unter anderem für die Herstellung von Halbleitern und Chips, Elektronik-Produkten und optischen Technologien benötigt. Bei der Vergabe der Lizenzen werden die Endverwendung und Endnutzer berücksichtigt. Als Grund für die Ausfuhrbeschränkung wird deren mögliche Nutzung für militärische Zwecke angedeutet (dual use). China produziert zwei Drittel des weltweiten Germaniums und 86 Prozent des gesamten Galliums.

Der Blick nach vorn: Die Maßnahmen zielen offensichtlich auf die USA und deren Partner ab, darunter auch die Niederlande, die Chinas Zugang zu bestimmten Halbleiter-Fertigungsanlagen einschränken wollen. Gallium ist ein wichtiger Bestandteil von modernen Halbleiter-Wafern, die unter anderem in Japan produziert und von koreanischen und taiwanischen Chipherstellern verwendet werden. Die Beschränkungen könnten Lieferunterbrechungen zur Folge haben. Beijing versucht offenbar, andere Länder davon abzuhalten, sich US-Maßnahmen gegen China anzuschließen. Die neuen Exportbeschränkungen zeigen ein zunehmend ausgereiftes und komplexes geoökonomisches Instrumentarium aufseiten Chinas. In der Vergangenheit hatte Beijing bereits auf inoffiziellem Wege die Lieferung seltener Erden an japanische Kunden blockiert. Mit dem neuen, formalisierten Mechanismus wird das Exportkontrollsystem legitimiert.

MERICS-Analyse: „Die USA und ihre Verbündeten verfügen zwar über die Technologien, um die Rohstoffe aus China zu ersetzen. Das würde aber viel Zeit und Aufwand erfordern,” sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. „Gallium wird neben begrenzt möglichen Recycling- Verfahren aus einem veredelten Begleitprodukt von Aluminium gewonnen; Germanium bei der Veredelung Zink. China produziert mehr als die Hälfte des weltweiten Aluminiums und ein Drittel des weltweiten Zinks. Um die Gallium- und Germanium-Produktion anzukurbeln, wären große Mengen an Aluminium und Zink erforderlich. Das würde eine Reihe von Problemen nach sich ziehen – von Überkapazitäten bis zu negativen Folgen für die Umwelt.”

Medienberichte und Quellen:

Neues Außenpolitik-Gesetz untermauert Führungsrolle der KPC

Die Fakten: Im Juli ist in China ein Gesetz in Kraft getreten, das die Führungsrolle der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) in allen außenpolitischen Belangen festschreibt. Das im Stil eines politischen Programms formulierte Gesetz über Chinas Außenbeziehungen stellt Sicherheits- und Entwicklungsinteressen sowie seinen globalen Aufstieg in den Mittelpunkt seiner Interaktionen mit anderen Staaten. Zudem untermauert es die Sanktionsbefugnisse der chinesischen Regierung. Es enthält zwar ein Bekenntnis zum UN-System und Menschenrechten, setzt aber auch Chinas eigene – oft widersprüchliche – Normen und Konzepte für die internationale Ordnung als Standard. Chinas neue „Globale Entwicklungsinitiative“, „Globale Sicherheitsinitiative“ und „Globale Zivilisationsinitiative“ werden als zentrale Säulen chinesischer Außenpolitik hervorgehoben. Dementsprechend werden chinesische Akteure bemüht sein, diese prominent in Statements und Vereinbarungen mit anderen Staaten oder Unternehmen unterzubringen.

Der Blick nach vorn: Das neue Gesetz ist Teil einer Serie von Gesetzen, die nach chinesischer Auffassung auch im Ausland Gültigkeit haben. Es spiegelt die Entschlossenheit Beijings wider, die Interessen Chinas mit harter Linie zu verteidigen und gleichzeitig seinen Handlungen eine rechtliche Grundlage zu verleihen. China hat in den vergangenen Jahren mehrere Gesetze verabschiedet, die den Einsatz von Gegenmaßnahmen und Sanktionen rechtfertigen, wenn ausländische Akteure China diskriminieren oder einschränken. Die Führung hat bereits verschiedene Instrumente eingesetzt, um unerwünschtes Verhalten zu bestrafen – wie wirtschaftliche Nötigung anderer Länder, politischer Druck, Sanktionen oder Boykotte.

MERICS-Analyse: „Das neue Gesetz untermauert zwar Beijings Optionen, jene abzustrafen, die chinesischen Interessen zuwiderhandeln, wird aber die Sorge im Ausland um unberechenbares Verhalten Beijings anfachen. Die Fokussierung auf Sicherheitsinteressen kann langfristig Chinas Entwicklungsinteressen schaden", sagt MERICS-Expertin Katja Drinhausen. „Chinas Wirtschaft auf Kurs zu halten, ist eigentlich zentral für Xis angestrebte ‚umfassende nationale Sicherheit'. Für funktionierende Handelsbeziehungen und die Stabilisierung von Exporten und Lieferketten muss Chinas Führung im Ausland auch auf Vertrauen stoßen."

Medienberichte und Quellen:

Profil

Pan Gongsheng – Auf dem Weg an die Spitze der Zentralbank

Pan Gongsheng at a press conference in 2017.

Der Vizegouverneur der chinesischen Zentralbank (PBoC), Pan Gongsheng, ist neuer Sekretär der Kommunistischen Partei der Bank. Damit hat er den politisch mächtigsten Posten der Institution inne. Der angesehene Technokrat ist damit auch auf dem besten Weg, irgendwann Zentralbankchef zu werden. Da die wirtschaftliche Erholung Chinas stockt und der Yuan unter volatilen Devisenmärkten leidet, soll die Entscheidung Beijings, den 59-jährigen erfahrenen Banker an die Spitze der Geldpolitik zu befördern, wohl auch die Finanzmärkte im In- und Ausland beruhigen.

Pan forschte unter anderem an der Universität Cambridge und war Stipendiat in Harvard. Das macht ihn zu einem der wenigen im Westen ausgebildeten Spitzenbeamten in Chinas Wirtschaftspolitik. Bewährt hat sich Pan unter anderem bei der Bekämpfung der Kapitalflucht aus China Mitte der 2010er Jahre. Parallel zu seiner Tätigkeit bei der PBoC war er bis vor kurzem Direktor der Devisenbehörde, wo er daran arbeitete, den Yuan als sichere Währung von internationalem Rang zu etablieren.

Nach der Promotion in Wirtschaftswissenschaften an der Volksuniversität trat Pan 1993 der Demokratischen Liga und der Kommunistischen Partei bei. Er begann seine Karriere bei der Industrial and Commercial Bank of China, wo er schnell aufstieg und für die Standard Chartered Bank nach Großbritannien entsandt wurde. Später wechselte er zur Agricultural Bank of China, bevor er 2012 zum stellvertretenden Gouverneur der PBoC und Mitglied des Parteikomitees der Bank wurde.

Als Parteisekretär der PBoC folgt Pan auf Guo Shuqing, der auch seinen Posten als Vizegouverneur räumt. In einem nächsten Schritt dürfte Pan Gouverneur Yi Gang ablösen. Guo und Yi sind 66 bzw. 65 Jahre alt und haben das für Beamte ihres Ranges geltende Rentenalter erreicht.

Medienberichte und Quellen:

MERICS China Digest

US-Finanzministerin Yellen reist nach China (Reuters)

Janet Yellen ist am Donnerstag für einen viertägigen Besuch in China eingetroffen. Die Gespräche in Beijing sollen sich auf die Neukalibrierung der Beziehungen zwischen Washington und Beijing angesichts der anhaltenden Spannungen konzentrieren. (06.07.23)

Xi auf SZO-Treffen (CNBC)

Chinas Präsident Xi Jinping hat an diesem Dienstag an einem virtuellen Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SZO) teilgenommen. Laut Chinas partei-staatlichen Medien hat Xi in seiner Rede gesagt, Beijing lehne eine „Entkopplung und den Abbruch von Verbindungen" ab. (04.07.23)

Liebe zur Partei wird Gesetz (China Media Project)

Chinas neuer Gesetzesentwurf zur "Verbesserung der patriotischen Erziehung" gibt der Kommunistischen Partei neue Möglichkeiten, die ideologische Kontrolle im Internet und über die Landesgrenzen hinaus zu verstärken, schreibt das China Media Project. (30.06.23)

Schwere Überschwemmungen in China (The Guardian)

Heftige Niederschläge in Zentralchina haben mehr als 15 Menschen getötet und tausende Menschen aus ihren Wohnorten vertrieben. Experten warnen vor weiteren extremen Wetterereignissen im Juli, darunter schwere Stürme und Hitzewellen. (05.07.23)

Neue Maßnahmen sollen Arbeitsmarkt stabilisieren (China Daily)

Chinas Staatsrat hat eine Reihe von Maßnahmen angekündigt, um den Arbeitsmarkt zu stabilisieren. Im Juli wird ein neuer Jahrgang von Universitätsabsolventen auf den angespannten Arbeitsmarkt drängen. (03.07.23)