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MERICS Briefs
MERICS China Essentials
10 Minuten Lesedauer

USA-Russland-Tauwetter + USA-China-Investitionen + Beijing wirbt um den Privatsektor

TOP Thema

China sieht Tauwetter zwischen USA und Russland als Chance für bessere Beziehungen zu Europa

Chinas Führung scheint die Annäherung zwischen Washington und Moskau zu begrüßen. Während die USA und Russland über ein Ende des Krieges in der Ukraine diskutieren, ist Beijing einigen wichtigen Zielen ohne großen Aufwand nähergekommen: das Festhalten an der engen Partnerschaft mit Russland, die Schwächung des transatlantischen Bündnisses und bessere Beziehungen zu Europa. 

Bei einem virtuellen Treffen zwischen Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am 24. Februar bekräftigten diese nicht nur die enge Partnerschaft beider Länder. Sie machten auch deutlich, dass Russland China über die Einzelheiten seiner Gespräche mit Washington informiert – und Beijing damit einverstanden ist, auch wenn es nicht am Verhandlungstisch sitzt.

Eine Neuordnung der Beziehungen zwischen den USA und Russland wäre nicht im Sinne Beijings, wenn sie Russland weniger abhängig von China machen würde und den USA die Möglichkeit gäbe, sich auf den Indopazifik zu konzentrieren. Dank der Signale aus Moskau sieht China die Gespräche jedoch als positiv an. Ein Frieden in der Ukraine und die Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Russland hätte für China wirtschaftliche und geopolitische Vorteile. Die Kritik an Chinas pro-russischer Haltung würde leiser werden.

Zudem dürfte die Neuausrichtung der Beziehungen zwischen Washington und Moskau die Spannungen zwischen Europa und den USA weiter erhöhen und damit eines der wichtigsten geopolitischen Ziele Beijings fördern. China nutzt die sich ergebende Chance bereits: Während Beijing die Gespräche zwischen den USA und Russland öffentlich begrüßte, versucht es auch, die Beziehungen zu Europa zu verbessern und die sich abzeichnende transatlantische Kluft zu vertiefen, indem es sich als zuverlässigerer Partner positioniert. Die USA haben zwar wiederholt erklärt, eine europäische Beteiligung an den Verhandlungen über die Ukraine sei unerlässlich, sie haben aber nichts in diese Richtung unternommen. 

Manche Beobachter sprechen von einem „Reverse Nixon“ und meinen damit den Versuch, Russland von China zu lösen, so wie US-Präsident Richard Nixon Anfang der 1970er Jahre versuchte, China und die Sowjetunion auseinanderzubringen. Das hätte allerdings kaum Aussicht auf Erfolg: Beijing und Moskau verbinden gemeinsame strategische Interessen und geopolitische Ziele. Für beide Seiten gibt es kaum Anreize, die engen Beziehungen aufzugeben. Das unterstreicht auch Xis bevorstehender Besuch im Mai in Moskau, anlässlich der Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs.   

Helena Legarda, Lead Analyst bei MERICS: „Solange Russland Interesse an noch engeren Beziehungen zu China bekundet, wird Beijing die Annäherung an Washington positiv sehen. Ohne seine Partnerschaft mit Russland einschränken oder seine Haltung zur Ukraine ändern zu müssen, kommt Chinas Regierung ihrem Ziel näher, Beziehungen zu Europa zu stärken und das transatlantische Bündnis zu schwächen.”

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Metrix

METRIX

5.25%

Dies ist der gewichtete Durchschnitt der BIP-Wachstumsziele für 2025, die kürzlich von den 31 Provinzen, regierungsunabhängigen Städten und autonomen Regionen Chinas festgelegt wurden. Die MERICS-Berechnung bestätigt Erwartungen, wonach Premier Li Qiang bei seiner Rede vor dem Nationalen Volkskongress nächste Woche ein nationales Wachstumsziel von rund 5 Prozent für 2025 verkünden wird. Die regionalen Zahlen sprechen auch dafür, dass China weniger als die laut Beijing 2024 erreichten 5 Prozent wachsen wird: nur eine Region prognostizierte ein höheres Wachstum, 15 erwarten keine Veränderung gegenüber 2024. 13 senkten ihre Prognose um 0,5 Prozentpunkte und zwei um einen bzw. zwei Punkte. Der Internationale Währungsfonds hat indes seine Wachstumsprognose für China für 2024 von 4,8 % auf 4,6 % runtergesetzt. (Quelle: MERICS) 

Themen

Washington nimmt für mehr Abstand von China hohe Kosten in Kauf

Wie neue Maßnahmen der US-Regierung unter Donald Trump zeigen, ist Washington offenbar bereit, sich selbst und seinen Verbündeten höhere Kosten aufzuerlegen, um von China weiter Abstand zu nehmen. Auf der Grundlage von Untersuchungen der Vorgängerregierung unter Joe Biden veröffentlichte das Weiße Haus vergangene Woche ein Memo und der US-Handelsbeauftragte einen Vorschlag, die beide darauf abzielen, die US-Industrie und deren Innovation zu stärken und Chinas wirtschaftliche Macht weiter einzuhegen. Dafür nehmen die USA höhere Importpreise in Kauf. 

Das Memo des Weißen Hauses kündigte eine „America-First-Investitionspolitik“ an, die klar zwischen Verbündeten und Gegnern unterscheidet und China ausdrücklich der zweiten Kategorie zuordnet. Die Politik ermutigt Verbündete und Partner, in den USA zu investieren und mit beschleunigten Verfahren zur Erneuerung von Produktion und Technologien im Land beizutragen.

Die USA werden auch chinesische Investitionen, einschließlich Greenfield-Projekte, strenger regulieren und Prognosen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen genau prüfen, um chinesischen Unternehmen den Zugang zu US-Innovationen, Fachkräften und anderen vorteilhaften Faktoren zu erschweren. Außerdem werden Beschränkungen für US-Investitionen in China verschärft, insbesondere für die Verteidigungsindustrie und aufstrebende strategische Branchen wie Halbleiter und die Künstliche Intelligenz (KI). Das betrifft auch börsennotierte Wertpapiere oder Universitätsstiftungen, die in der Durchführungsverordnung (Executive Order) der Vorgängerregierung von Joe Biden vom Jahr 2023 nicht enthalten waren.

Der US-Handelsbeauftragte veröffentlichte zudem Vorschläge zur Regulierung der Tätigkeiten chinesischer Schifffahrts- und Schiffbauunternehmen in den USA. Diese und auch andere Unternehmen, die Schiffe aus chinesischer Produktion in ihrer Flotte haben oder bei Werften in Auftrag geben, sollen künftig hohe Andockgebühren zahlen. Dies wird die Kosten für Verlader und Verbraucher in die Höhe treiben – und die Unternehmen womöglich zur Neuorientierung zwingen, was in der Branche kostspielig ist. 

Jacob Gunter, Lead Analyst bei MERICS: „Die „America First“-Investitionspolitik und der gegen chinesische Schifffahrtsbranche gerichtete Vorschlag des US-Handelsministeriums vergrößern die Distanz zwischen den USA und ihren Verbündeten auf der einen und China auf der anderen Seite. Um ihre strategischen Ziele zu erreichen, sind die USA bereit, wirtschaftliche Kosten in Kauf zu nehmen – und auch ihren Verbündeten aufzuerlegen. Dazu gehört, innovative chinesische Unternehmen, chinesische Reedereien und in China gebaute Schiffe vom US-Markt fernzuhalten.”

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Xi sendet Tech-Unternehmen positive Signale, aber keine Zugeständnisse an Privatwirtschaft

Um Investitionen anzukurbeln, bekräftigt die Regierung in Beijing vor dem Nationalen Volkskongress (NVK) Unterstützung für den Privatsektor. Zugleich hält sie an der zentralen Rolle von Staatsunternehmen in der Wirtschafts- und Innovationspolitik fest. Nach dem Durchbruch des KI-Startups DeepSeek traf sich Partei- und Staatschef Xi Jinping mit chinesischen Unternehmern – darunter DeepSeek-CEO Liang Wenfeng, Alibaba-Gründer Jack Ma sowie Huawei-Chef Ren Zhenfei. Xi betonte bei dem Treffen das enorme Potenzial des Privatsektors. Parteistaatliche Medien berichteten auch über Fortschritte bei der Ausarbeitung eines Gesetzes zur Förderung der Privatwirtschaft. Ob dieses bis zum NVK Anfang März vorliegt, ist allerdings ungewiss.

Huawei-Gründer Ren Zhenfei sagte laut Medienberichten, Chinas „Mangel an Chips und Betriebssystemen“ sei stark reduziert worden. Ren sprach damit zwei kritische Engpässe an, die Beijing seit den 1990er Jahren Sorgen bereiten. Laut einem Bericht der „Singapore Times“ rief Ren jedoch auch zur Wachsamkeit auf, da oberflächliche technologische Errungenschaften kritische Mängel verschleiern könnten. Dennoch betonte er eine weitgehende Übereinstimmung von Privatwirtschaft und Parteistaat. Er sprach sich für mehr staatliche Unterstützung aus und bekräftigte das Ziel, bis 2028 70 Prozent aller Huawei-Komponenten in China herzustellen. Auch andere Vertreter der Branche signalisierten Unterstützung für das strategische Ziel, China technologisch unabhängig zu machen.       

Jeroen Groenewegen-Lau, Leiter des Programms Wissenschaft, Technologie und Innovation bei MERICS: „Auch wenn sogar der bei Beijing in Ungnade gefallene Alibaba-Gründer Jack Ma eingeladen war, signalisiert das Treffen noch keine Rückkehr zur Politik vor dem harten Durchgreifen gegen die Tech-Branche nach 2020. Beijing hat führende Vertreter aus den Bereichen Halbleiter, Künstliche Intelligenz, Landwirtschaft, Robotik und neue Energiefahrzeuge eingeladen – nicht aber diejenigen aus den Bereichen verbraucherorientierte digitale und Finanzdienstleistungen. Das zeigt, dass China weiterhin der Produktion und Technologie-Führerschaft gegenüber Konsum und Wirtschaftswachstum den Vorrang gibt.”

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Hongkongs ehemals größte Oppositionspartei löst sich auf

China hat einen weiteren Meilenstein auf dem Weg erreicht, Hongkong unter politische Kontrolle zu bringen: mit der Demokratischen Partei Hongkongs (DPHK) hat die ehemals größte Oppositionspartei ihre Auflösung eingeleitet. Wie der Parteivorsitzende Lo Kin-hei erklärte, fordert die DPHK ihre 400 verbleibenden Mitglieder auf, über die Auflösung der Organisation abzustimmen. Die politische Lage mache es „besonders schwierig“, sich für die Demokratie in der Stadt einzusetzen. Beijings hartes Vorgehen gegen Andersdenkende nach den Protesten 2019-2020 hatte die Partei 2021 aus dem Legislativrat der Stadt gedrängt. 

Das formelle Ende der DPHK wäre ein weiterer Schock für Hongkong, nachdem die zweitgrößte pro-demokratische und konfrontativere Civic Party 2024 und zuvor bereits Dutzende kleinere Gruppen ihre Arbeit niedergelegt hatten. Die 1994 gegründete DPHK hatte sich bereits vor der „Übergabe“ Hongkongs an die Volksrepublik 1997 dafür eingesetzt, dass die Legislative und der Chef der Exekutive der Stadt von der Bevölkerung und nicht von der privilegierten Wirtschafts- und Berufselite gewählt werden sollten. Hongkonger Medien berichteten, Beijing wolle die Partei vor den Wahlen im Dezember auflösen, um sie nicht von der Teilnahme ausschließen zu müssen. 

Nis Grünberg, Lead Analyst bei MERICS: „Die Auflösung der der Demokratischen Partei Hongkongs (DPHK) steht auch für das Ende des Prinzips 'Ein Land, zwei Systeme' und eines Hongkongs, das für Demokratie, Redefreiheit und die Wahrung der Menschenrechte steht. Die Stadt wird ein wichtiges Wirtschaftszentrum für China bleiben, ähnlich wie Shanghai, ohne Raum für politische Vielfalt und unter der strengen Kontrolle Beijings.“

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MERICS China Digest

MERICS China Digest

China hält Schießübungen im Golf von Tonkin ab, nachdem Vietnam seine territorialen Ansprüche markiert hat (AP News)

Beijing hat am Montag Schießübungen im Golf von Tonkin begonnen – nur wenige Tage, nachdem Vietnam eine neue Demarkationslinie zur Markierung territorialer Gewässer und ausschließlicher Wirtschaftszonen veröffentlicht hatte. China hatte seine eigene Demarkationslinie im letzten Jahr einseitig angepasst. (25.02.2025)

Chinesische Kriegsschiffe dringen erneut in Australiens Ausschließliche Wirtschaftszone ein und nähern sich Tasmanien (ABC News)

Drei chinesische Kriegsschiffe, die vor kurzem in der Tasmanischen See Übungen mit scharfer Munition durchgeführt und dabei den internationalen Flugverkehr gestört hatten, sind erneut in die ausschließliche Wirtschaftszone Australiens eingedrungen. In einer Erklärung des australischen Verteidigungsministeriums heißt es: „Wir respektieren das Recht aller Staaten nach internationalem Recht, die Freiheit der Schifffahrt und des Überflugs in internationalen Gewässern und im internationalen Luftraum auszuüben, genauso wie wir von anderen erwarten, dass sie unser Recht respektieren, dasselbe zu tun.“ (25.02.2025)

Taiwan erwischt chinesisches Schiff beim Durchtrennen eines Unterwasserkabels (Financial Times)

Die taiwanesische Küstenwache hat nach eigenen Angaben am frühen Dienstag ein chinesisches Frachtschiff dabei ertappt, wie es vor der taiwanesischen Westküste ein Unterwasserkabel durchtrennte. (25.02.2025)

China bremst die ländliche Landreform in wichtiger politischer Veröffentlichung (South China Morning Post)

China hat das jährliche „No. 1 Central Document“ veröffentlicht, das sich auf den ländlichen Raum konzentriert. Darin wird erstmals ein Verkaufsverbot von Land und Immobilien an Stadtbewohner und pensionierte Beamte erwähnt. Damit will die Regierung dem Verlust von Ackerland und der zunehmenden Ungleichheit zwischen den Bürgern in ländlichen und städtischen Gebieten vorbeugen. (24.02.2025)

Eine Gruppe uigurischer Männer, die seit mehr als einem Jahrzehnt in Thailand inhaftiert waren, könnten möglicherweise nach China abgeschoben worden sein (Associated Press) 

Eine Gruppe von Uiguren, die seit mehr als einem Jahrzehnt in Thailand inhaftiert waren, scheint nach China abgeschoben worden zu sein. Im vergangenen Monat hatten die inhaftierten Männer öffentlich dazu aufgerufen, die ihrer Meinung nach unmittelbar bevorstehende Abschiebung zu verhindern, da ihnen in China Gefängnis und möglicherweise der Tod drohten. Ihre Behandlung in thailändischer Haft und ihre Abschiebung verstoßen möglicherweise gegen internationales Recht. (27.02.2025)

Neue Regelung erlaubt chinesischen Unternehmen, Daten als Vermögenswert zu behandeln (Rest der Welt)

China Unicom, einer der größten Mobilfunkbetreiber der Welt, ist der erste chinesische Technologiegigant, der von einer neuen Richtlinie des Finanzministeriums zu Unternehmensdaten profitiert. Sie erlaubt es Unternehmen, Daten als Vorratsvermögen oder immaterielle Vermögenswerte zu klassifizieren. Es handelt sich um die weltweit erste Regelung dieser Art, die es ermöglicht, Daten auf dem Markt zu handeln und den Unternehmenswert zu steigern. (25.02.2025)