Chinese Foreign Minister Wang Yi makes a speech during the 56th Munich Security Conference at Bayerischer Hof
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Wang Yis Europa-Reise + Xis Rede zur Modernisierung + Chatbots

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Wang Yis Europa-Reise: Heikles Unterfangen zur Belebung der Beziehungen

Seine erste Europa-Reise als Chefdiplomat der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) wird nicht einfach für Wang Yi. Der Leiter der einflussreichen Zentralen Kommission für Auswärtige Angelegenheiten der KPC soll bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), in Frankreich, Italien und Ungarn die Handelsbeziehungen mit der EU und den USA nach dem Ende der Null-Covid-Politik wieder ankurbeln. Die Reise findet zu einer heiklen Zeit statt. Die Beziehungen zwischen den USA und China sind wegen der Aufregung um Spionage-Ballons gespannt, außerdem naht der erste Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine. Wang wird auch nach Moskau reisen.

Wang wird versuchen, die Wogen in den chinesisch-europäischen Beziehungen zu glätten und in Paris und Rom die geplanten China-Besuche des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni vorbereiten. Wang wird nicht wie angekündigt nach Brüssel reisen. Dafür hat er Ungarn auf seine Reiseroute gesetzt, das Beijing gegenüber freundlich eingestellt ist – ein Zeichen dafür, dass im EU-chinesischen Verhältnis nicht alles zum Besten steht.

Chinas Position zur russischen Invasion in der Ukraine und der Ballon-Streit werden die Gespräche auf der Sicherheitskonferenz und mit Wangs europäischen Amtskollegen dominieren. Europa sollte nicht auf große Zugeständnisse Chinas hoffen. Wang dürfte sich an die offizielle Linie Beijings halten – im offiziellen Jargon: "die von Präsident Xi Jinping vertretene Vision einer gemeinsamen, umfassenden, kooperativen und nachhaltigen Sicherheit vermitteln, Chinas beständiges Engagement für eine friedliche Entwicklung verdeutlichen und Chinas Position zu wichtigen internationalen Fragen teilen".

Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine wird Wang wohl die bekannte Position wiederholen, wonach die USA und die NATO die Schuld an dem Konflikt tragen und die Beziehungen zu Russland unabhängig davon zu bewerten sind. Dies und Wangs Besuch in Moskau am Ende seiner Reise dürften in Europa nicht gut ankommen und den Eindruck verstärken, dass China Russland den Rücken stärkt.

MERICS-Analyse: „Es wird schwierig für Wang, die Beziehungen mit den USA zu stabilisieren und Europa zu gewinnen, wenn Beijing Russland weiter unterstützt", sagt MERICS-Experte Grzegorz Stec. „Ohne klare Ansagen in Richtung Beijing von europäischer Seite ist dennoch zu befürchten, dass es die Bedingungen für die Stabilisierung der Beziehungen festsetzt, ohne Zugeständnisse beim Thema Russland zu machen."

Mehr zum Thema: Navigating balloons and export controls in a time of hot peace, MERICS Europe China 360°

Medienberichte und Quellen:

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Chinesische Taikonauten haben vergangene Woche einen siebenstündigen Weltraumspaziergang außerhalb der Raumstation Tiangong absolviert. Es war der erste derartige Einsatz seit der Fertigstellung des chinesischen Außenpostens im Orbit vor einigen Monaten. Der Weltraumspaziergang zeigt, dass Tiangong, was auf Chinesisch "Himmlischer Palast" bedeutet, voll funktionsfähig ist. China könnte ein Kooperationspartner für andere Raumfahrtnationen wie Russland werden, wenn die Internationale Raumstation ISS 2024 außer Betrieb genommen wird. (Quellen: Sina Finance,  China Daily)

Themen

Xis Rede zur Modernisierung untermauert ideologischen Kurs

Die Fakten: In einer Grundsatzrede am 7. Februar hat Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping Hoffnungen enttäuscht, er könne einen pragmatischeren Kurs in der Wirtschaftspolitik und in den internationalen Beziehungen einschlagen. In der Rede untermauerte er sein Festhalten an einer ideologisch und machtpolitisch motivierten Strategie. Nachdem Xi sich auf dem 20. Parteitag eine dritte Amtszeit gesichert und fast alle politischen Ziele durchgesetzt hatte, schien Beijing zuletzt eine andere Gangart einzuschlagen: Es bot Anreize für Privatunternehmen und ergriff finanzielle Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft, erklärte nach massiven Protesten die Null-Covid-Politik für beendet und setzte zu einer Diplomatie-Offensive an. In seiner Rede über die „chinesische Modernisierung" bekräftigte Xi nun jedoch erneut das Streben Chinas, zur Weltmacht zu werden und den Systemwettbewerb gegen die USA und den westlichen Kapitalismus zu gewinnen. Xi propagierte die „Modernisierung chinesischer Prägung" als neue Leitmaxime eines Sozialismus unter der Kontrolle der Kommunistischen Partei.

Der Blick nach vorn: Wenige Wochen vor dem Nationalen Volkskongress (NVK) Anfang März startet Xi eine Ideologie-Offensive. Beamte sind aufgefordert, sich zu den „zwei Determinanten" zu bekennen, die für Xis Machtanspruch stehen. Dieser will China als überlegenes System und systemische Alternative durchsetzen. In gewohnt kryptisch-dialektischer Manier gab Xi Leitlinien aus wie „die Gestaltung auf höchster Ebene und lokale Experimente vorantreiben, die Innovation stärken und dabei die Kontrolle der Partei aufrechterhalten". China steht nach den Lockdowns und wirtschaftlichen Folgen der rigiden Covid-Politik der vergangenen Jahre vor ernsten wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Die abstrakte und ideologische Rede dürfte Funktionäre eher verwirren als zu konkreten politischen Lösungen inspirieren.

MERICS-Analyse: „Xi bleibt ein Ideologe und hält an seinem Kurs fest. Die Etablierung einer parteigeführten und ideologischen Regierung bleibt Kern seiner Strategie – lässt aber auch taktische Flexibilität zu", sagt MERICS-Experte Nis Grünberg. „Xis Kehrtwendungen sind Kompromisse und Reaktionen auf Krisen. Auf internationaler Ebene gibt es Raum für Flexibilität, zugleich steht über allem das Bestreben, Chinas Aufstieg zu beschleunigen und Interessen zu verfolgen."

Medienberichte und Quellen:

Auch China wird vom Chatbot-Hype erfasst

Die Fakten: ChatGPT wird von vielen derzeit als die nächste große technologische Revolution gehandelt, die das Internet grundlegend verändern wird. Die Fähigkeiten des in den USA entwickelten Chatbots, der Fragen in geschliffenen Formulierungen beantwortet, Quellen zusammenfasst und sogar eine MBA-Abschlussprüfung bestehen kann, hat weltweit die Fantasien rund um die Anwendungsmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) beflügelt – und auch Ängste geschürt. China ist den USA bei der Entwicklung von KI-Chatprogrammen dicht auf den Fersen. Der Internetriese Baidu will ab März seinen eigenen Chatbot-Dienst anbieten.

Der Blick nach vorn: Baidu verfügt als Chinas meistgenutzte Suchmaschine über eine große Menge an Daten, um seinen Chatbot zu trainieren und ist damit der aussichtsreichste chinesische Kandidat, um im Bereich generative Intelligenz mit US-Konkurrenten mitzuhalten. Baidu arbeitet bereits seit Jahren an KI-Anwendungen und hat kürzlich sein Sprachmodell ERNIE vorgestellt, das gemeinsame technische Wurzeln mit ChatGPT hat. Da ein Großteil der weltweiten Forschung zur Verarbeitung natürlicher Sprache quelloffen ist, dürfte die Leistung von ERNIE durchaus mit der westlichen Konkurrenz Schritt halten können.

MERICS-Analyse: „Wir müssen den Blick auf den potenziellen Missbrauch hochentwickelter Chatbots lenken. Schon jetzt gibt es Bedenken, dass an Internet-Inhalten trainierte große Sprachmodelle Verzerrungen und Hassreden produzieren. Inwieweit der chinesische Staat von Chatbots generierte Inhalte tolerieren wird, selbst wenn diese im zensierten chinesischen Internet trainiert wurden, ist offen. Der potenzielle Einsatz von Sprachmodellen in Kombination mit Bild- und Tonmaterialien zu Propagandazwecken ist ein weiteres Problem, auf das sich demokratische Regierungen vorbereiten müssen."

Medienberichte und Quellen:

Chinas Social-Media-Nutzer spotten über Ballon-Streit

Die Fakten: Nachdem die USA in den vergangenen Tagen einen chinesischen Spionageballon und andere Flugobjekte abgeschossen hatten, hat Chinas Außenministerium Washington vorgeworfen, selbst Spionageballons „mehr als zehn Mal und ohne Genehmigung in den chinesischen Luftraum" entsandt zu haben. Chinas parteistaatliche Medien verbreiteten die Anschuldigungen Beijings auf der Plattform Weibo. Gleichzeitig warfen viele private Nutzer US-Medien vor, den „herumstreunenden Ballon" (流浪气球) zu benutzen, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Chinesische Memes spielten die Bedeutung des Vorfalls herunter, indem sie sich über den „großen Wirbel" lustig machten und „Glückwünsche" zum ersten Luft-Luft-Treffer des Kampfflugzeugs F-22 Raptor aussprachen.

Der Blick nach vorn: Beijing hat angegeben, es handle sich bei dem Ballon um ein ziviles meteorologisches Luftschiff, und gegen die Zerstörung protestiert. Dennoch war die Regierung offenkundig nicht auf heftigen Reaktionen auf dessen Entdeckung vorbereitet. Doch Beijing scheint nun eine Interpretation der Ereignisse gefunden zu haben: Die USA würden nur innenpolitischen vertuschen, die China-Gegner im Regierungsapparat würden übertreiben, und das Militär regiere über, so heißt es.

Washington wird auf öffentlichen und politischen Druck reagieren und die mutmaßlichen Spionage-Aktivitäten untersuchen müssen. Die Münchner Sicherheitskonferenz könnte Aufschluss darüber geben, wie die beiden Seiten in Zukunft miteinander umgehen werden. Chinas Spitzendiplomat Wang und US-Außenminister Blinken werden dort erwartet. Ein zuvor geplantes Treffen in Beijing wurde wegen des Ballon-Streits abgesagt.  

MERICS-Analyse: „Die Ballon-Affäre hat einen heftigen Schlagabtausch über gegenseitiges Ausspionieren zwischen beiden Supermächten ausgelöst. Die USA und andere Länder könnten nun verstärkt Chinas Spionagepraktiken in den Blick nehmen. Die Aussichten auf bessere Beziehungen zwischen den USA und China sind nun getrübt."

Medienberichte und Quellen:

Hesai-Börsengang in USA deutet auf Tauwetter in Finanzbeziehungen

Die Fakten: Die Hesai Technology Company hat bei ihrem Debüt an der US-Technologiebörse Nasdaq am 8. Februar 190 Mio. USD eingenommen. Es handelt sich um den größten Börsengang eines chinesischen Unternehmens im Ausland, seit der Fahrdienstvermittler Didi im Juni 2021 in den USA gelistet wurde. Hesai produziert laserbasierte Sensoren und Technologien, sogenannte LIDAR-Systeme, für Autos und Roboter. Den Weg für die US-Börsennotierung des Unternehmens hatte ein Abkommen zwischen Washington und Beijing im vergangenen Jahr geebnet. Es verschafft US-Behörden einen besseren Zugang zu Informationen über die Regeltreue der an US-Börsen gelisteten chinesischen Unternehmen. Neue Börsengänge chinesischer Unternehmen waren in den USA beinahe zum Erliegen gekommen, seit Beijing im August 2021 mit Verweis auf Datensicherheitsbedenken eine härtere Gangart gegen Didi und weitere Unternehmen einschlug.

Der Blick nach vorn: Die Börsennotierung von Hesai bedurfte der Zustimmung Beijings und Washingtons. Seit dem Debakel um Didi müssen chinesische Unternehmen für eine Notierung an ausländischen Börsen die Genehmigung der chinesischen Aufsichtsbehörden einholen, auch wegen potenzieller Daten- und Cyberrisiken. Die Zustimmung der USA zu Hesais Börsennotierung zeigt, dass sich die chinesischen Behörden an die Vereinbarung halten. Nach Medienberichten strebt auch Chinas Fast-Fashion-Riese Shein in diesem Jahr einen Börsengang in den USA an. Es wird sich zeigen, ob diese Transaktionen den Auftakt zu weiteren Börsengängen bilden.

MERICS-Analyse: „Chinas Kapitalbedarf nach der fast drei Jahre anhaltenden Null-Covid-Politik dürfte ein wichtiger Grund für die Genehmigung des US-Börsengangs von Hesai gewesen sein", sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. „Das ändert nichts daran, dass Beijing es vorzieht, wenn Unternehmen in China an die Börse gehen, um ausländisches Kapital anzuziehen. In Washington liefern sich derweil die Demokraten und Republikaner einen Wettbewerb, wer im Umgang mit China ‚härter‘ ist. Das Tauwetter in den US-chinesischen Finanzbeziehungen könnte also nur vorübergehend sein."

Medienberichte und Quellen:

MERICS China Digest

China macht neue Fortschritte bei Quantencomputern (Asia Times)
Nach Kanada und den USA will China als weltweit drittes Land Quantencomputer auf den Markt bringen.  (4.2.2023)

USA wollen Investitionen in China wegen Sicherheitsbedenken einschränken (New York Times)
Die Biden-Regierung arbeitet Berichten zufolge an neuen Regeln, die US-Investitionen in Chinas Technologiebranche einschränken sollen. (9.2.2023)