Der Hongkonger Medientycoon Jimmy Lai bei seiner Festnahme am 18. April in Hongkong.
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MERICS China Essentials
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China greift inmitten von Corona-Krise in Hongkong durch

TOP-THEMA: China greift inmitten von Corona-Krise in Hongkong durch

Inmitten der anhaltenden Corona-Krise greift China geht China mit größerer Härte gegen Unterstützer der Demokratiebewegung in Hongkong vor: Vor wenigen Tagen wurden 15 prominente Protagonisten der Bewegung festgenommen. Ihnen werden unter anderem illegale Versammlungen in Zusammenhang mit den Massenprotesten im vergangenen Jahr vorgeworfen. Betroffen sind prominente Anwälte, Abgeordnete und Geschäftsleute, darunter der 81-jährige Rechtsanwalt Martin Lee QC, der in den 1980er Jahren am Entwurf des Hongkonger Grundgesetztes mitgewirkt hat. Ebenfalls festgenommen wurden die Rechtsanwältin Margaret Ng und der Medientycoon Jimmy Lai.

Die Hongkonger Polizei hatte bereits zuvor auf Festnahmen und Massenfestnahmen, um die Proteste einzudämmen. Beachtenswert ist, dass nun Festgenommenen bislang zwischen der Protestbewegung und den Hongkonger Institutionen vermittelt hatten. International wurden die Festnahmen verurteilt. Die parteistaatlichen Medien Chinas hingegen begrüßten das Vorgehen.

Hartes Vorgehen könnte die Bewegung radikalisieren

Durch die Festnahmen verliert die Demokratiebewegung wichtige Unterstützer in den Hongkonger Institutionen. Das könnte die Bewegung weiter radikalisieren und den Behörden einen Vorwand für ein noch härteres Vorgehen liefern. Verschärfen könnte die Spannungen auch eine am Mittwoch angekündigte Kabinettsumbildung in Hongkong: Fünf Minister sollen abgelöst werden, darunter der für die Beziehungen zum Festland zuständige.

Die Entwicklungen deuten auch darauf hin, dass Beijing bald mit seinem Gesetz gegen Aufruhr und Subversion (Grundgesetz, Artikel 23) voranpreschen wird. Dadurch wäre es möglich, Hongkonger Bürger zum Beispiel für die „Weitergabe von Staatsgeheimnissen“ oder „Volksverhetzung“ zu belangen. Beide Begriffe sind vage und könnten auf eine breite Palette von Beijing-kritischen Aktivitäten angewandt werden.

MERICS-Analyse: „Da die internationale Aufmerksamkeit derzeit auf der Covid-19-Pandemie liegt, geht Beijing in Hongkong noch offensiver vor. Die dortigen Behörden setzen mit dem gezielten Vorgehen gegen Eliten auf eine neue Taktik im Umgang mit der Protestbewegung. Die Intention könnte sein, die Verbindungen zwischen Demonstranten und Institutionen zu kappen und letztere von Unterstützern abzuschneiden. Die Festnahmen der Vermittler sendet zudem ein Warnsignal an andere Unterstützer der Proteste unter den Hongkonger Eliten.“ MERICS-Experte Nis Grünberg.

Medienberichte und Quellen:

Covid-19: Beijing sorgt sich um seinen Ruf im Umgang mit Pandemie

Die Fakten: Chinas Regierung hat bereits vollmundig den Sieg über das Coronavirus erklärt, sorgt sich aber offenbar um ihren Ruf als Krisenmanagerin. Offenbar als Reaktion auf Zweifel in der eigenen Bevölkerung korrigierte Beijing die Zahl der Todesopfer in der besonders betroffenen Stadt Wuhan um satte 50 Prozent nach oben. Landesweit stieg die Zahl der Corona-Toten damit auf mehr als 4600. Die parteistaatliche Nachrichtenagentur Xinhua machte "verspätete, unterlassene und falsche Meldungen“ aus der Region über den wahren Stand des Ausbruchs für die Korrektur verantwortlich. Zugleich haben bei den parteistaatlichen Medien Hintergrundberichte aus dem Zentrum der Macht Konjunktur: Xi Jinping wird darin stets als kluger Stratege porträtiert, der in dramatischer Lage stets den Überblick behält.

Der Blick nach vorn: Für Beijing wird es schwieriger, die Erzählung vom klaren Sieg über die Seuche glaubhaft zu vermitteln. Derzeit werden immer mehr Details eines offenkundigen Versagens in den Anfangstagen des Ausbruchs in Wuhan bekannt. Trauernde und enttäuschte Bürger in den besonders schwer betroffenen Regionen dürften, ebenso wie internationale Kritiker, verstärkt Aufklärung fordern.

MERICS-Analyse: Die Nachwirkungen des Ausbruchs sind eine große Herausforderung für Chinas Regierung. Zwar loben viele Chinesen ihr Krisenmanagement, besonders mit Blick auf die teils dramatische Lage in anderen Ländern. Kritische Details über ein Versagen in der Anfangsphase der Pandemie oder eine zweite Infektionswelle in China könnte Beijing allerdings erheblich unter Druck setzen. Um die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen, setzt Beijing auf eine ähnliche Strategie. Nachdem internationale Versuche China für das Virus verantwortlich zu machen sowie Verschwörungstheorien nationalistische Gegenreaktionen hervorriefen, versucht die chinesische Regierung, diese Atmosphäre zu nutzen und die Erzählung in die von ihr gewünschte Richtung zu drehen.

Lesen Sie auch unsere Blogserie (auf Englisch) „China’s Corona Struggle“. Unser Autor Thomas Geddes untersucht in seinem Beitrag zum Beispiel, inwieweit der Ausbruch die Herrschaft der KPC in Frage stellt.

Medienberichte und Quellen:

Corona-Krise belastet Chinas Beziehung zu Afrika

Die Fakten: Chinas gute “Allwetterbeziehung” zum afrikanischen Kontinent wird durch die Corona-Krise auf eine harte Probe gestellt: Berichte über Diskriminierungen afrikanischer Studenten und Geschäftsleute in der Stadt Guangzhou für empörte Reaktionen in den betroffenen Staaten gesorgt. Chinesische Diplomaten und Regierungsvertreter bemühten sich, die Wogen zu glätten und machten Missverständnisse, Einflussnahme von außen und unangemessenes Verhalten lokaler Behörden für das Fehlverhalten verantwortlich.

Der Blick nach vorn: Ob es China gelingt, die Wogen zu glätten, hängt auch vom Verlauf der Coronakrise in Afrika ab und ob China in der Region helfen kann. Beijing hat bereits medizinisches Personal und Hilfsmaterial an afrikanische Staaten geschickt, in denen das Virus ausgebrochen ist. Unklar ist zurzeit, ob China auch zu bilateralen Schuldenerlassen für besonders stark betroffene Staaten bereit wäre.

MERICS-Analyse: “Die langfristigen Folgen der Covid-19-Pandemie könnten das Verhältnis Chinas zu afrikanischen Staaten womöglich nachhaltiger schädigen als der derzeitige diplomatische Streit um Diskriminierungen. Chinas diplomatische Beziehungen zu afrikanischen Staaten gründen vor allem auf lebhaftem Handel, Investitionen und finanziellen Verbindungen. Eine globale Rezession könnte diese Basis ernsthaft beschädigen.” Matt Ferchen, Forschungsleiter Global China, MERICS

Medienberichte und Quellen:

China erklärt Daten zum zentralen Produktionsfaktor

Die Fakten: Chinas Staatsrat und das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) haben neue Richtlinien zur verbesserten Zuteilung von fünf zentralen Produktionsfaktoren veröffentlicht: dazu zählen Land, Arbeit, Kapital – und bemerkenswerterweise auch Technologie und Daten. Das Dokument vom 9. April reiht sich in andere Reformbemühungen ein. Es nennt Maßnahmen, um sogenannte marktbasierte Mechanismen zur Zuteilung der Produktionsfaktoren zu verbessern. Auch soll der Kapitalmarkt für ausländische Investoren weiter geöffnet werden. Ein Vertreter der Nationalen Kommission für Entwicklung und Reform (NDCR) sagte, die Richtlinien dienten auch dem Ziel, die Wirtschaft in der Corona-Krise zu beleben.

Der Blick nach vorn: Die Richtlinien sehen neue Instrumente vor, die bürokratische Hürden senken und den Wettbewerb fairer gestalten können. Sie sollen zudem den Finanzsektor weiter öffnen und internationale Technologiekooperation fördern. Ob ausländische Investoren davon profitieren können, hängt stark von der Umsetzung detaillierter Maßnahmen ab, deren Veröffentlichung noch aussteht.

MERICS-Analyse: Hinter der Nennung von Daten und Technologie als zentrale Produktionsfaktoren steht der unbedingte Ehrgeiz, die Entwicklung der heimischen Digitalwirtschaft voran zu treiben. Ob die Richtlinien Marktkräften mehr Gewicht geben werden, ist jedoch fragwürdig. Die chinesische Regierung toleriert diese nur, solange sie zur Erreichung nationaler strategischer Ziele beitragen. Ob die Coronavirus-Krise dazu führen wird, dass Fraktionen in China gestärkt werden, die fairen Wettbewerb befürworten, lässt sich derzeit nicht abschätzen.

Medienberichte und Quellen:

METRIX

China hat Investitionen von insgesamt 3,5 Billionen Yuan allein für dieses Jahr angekündigt, um den Auswirkungen der Covid-19-Krise entgegenzuwirken. Das Geld wird für eine lange Liste von Projekten zur Verfügung stehen, die in den letzten zwei Monaten von mindestens sieben der 31 chinesischen Provinzen veröffentlicht wurden. (Quelle: South China Morning Post)

VIS-À-VIS: Max J. Zenglein zur Lage der chinesischen Wirtschaft

China appears to have contained the coronavirus, but the lockdown was a huge shock to the country’s economy in the first three months of the year. MERICS chief economist Max J. Zenglein says recovery could be slow.

China's gross domestic product shrank 6.8 percent in the first quarter. When will growth normalize again?

We should not underestimate the situation. China is in an unprecedented economic crisis, one that is much worse than anything it went through during the SARS epidemic and the global financial crisis. Don’t expect a rapid recovery of the Chinese economy in the second quarter. Manufacturing is picking up again, especially electronics and pharmaceuticals, so there is some good news on the supply side. But the demand side remains a real problem. Domestic demand is weak as many people are earning less or nothing at all. And foreign demand is beginning to weaken ­– and China will only feel the full impact of that in the coming weeks. The economy will probably shrink in the second quarter as well and Beijing will have to drop its target of growing the economy by about six percent this year.

The Chinese government has taken various measures to support the economy. Will it need to do more?

The government has already initiated a number of fiscal and monetary policy measures. Its main aim has been to reduce the tax burden on small and medium-sized enterprises (SMEs) and to simplify their access to capital. Infrastructure programs have also been announced, like the 5G network expansion. The Chinese central bank has cut reserve requirements, lowered its key interest rate and pumped liquidity into the economy. But the need for additional government spending will increase. Weak demand at home and abroad is hurting the SMEs most of all and we will probably see more bankruptcies soon. So expect more targeted stimulus from Beijing to crank up consumer demand, but also to help SMEs secure capital. If these stimulus measures do not have the desired effect, Beijing might even be tempted to lower the value of the yuan, further stressing China’s financial system.

SMEs are in trouble, what but about state-owned enterprises? What will the economy look after the crisis?

Some of the manufacturing sectors such as transportation equipment or steel that are picking up are driven by state-owned enterprises (SOEs). But the government knows it needs the private sector and its SMEs to get the economy up and running again, that’s the motivation for all the targeted help. But if SME’s do not respond fast enough to the stimulus I think we’ll see SOEs expand their role in the economy again. SME’s are most vulnerable to bankruptcies as the crisis unfolds. Bigger companies and SOEs are generally better equipped to deal with a crisis like this, as they have credit lines they can draw on and banks are more willing to lend to them. The private sector could also be weakened as foreign companies rethink their manufacturing footprints. I think we will see an accelerated end to China-centric supply chains as global companies diversify manufacturing out of the country.

You can read the latest issue of the MERICS Economic Indicators, compiled by Max J. Zenglein and Maximilian Kärnfelt, online here.

REVIEW: Der Bergarbeiter, der Pferdehirte und die Pneumokoniose: Ein Dokumentarfilm von Jiang Nengjie (Dezember 2019)

This is a side of China we don’t get to see too often,  a side of China that Chinese censors take great pains to scrub off our screens, the reverse side of President Xi’s “China Dream”— poverty, corruption and an illegal coal miner left to die at home from the terminal lung disease pneumoconiosis. “A decade ago, they had to bribe [local officials]. A decade later they can’t even get an ambulance to come,” comments one viewer. “We're not trying to say bad things, we're just trying to tell the truth”, writes another.

Shot over a period of eight years, the film follows the fates of director Jiang Nengjie’s relatives in rural Hunan. From the mind-numbing working conditions of illegal mines, to the harsh realities of health care and schooling in rural China, Jiang takes us into the intimacy of these people’s lives. His film has no voice-over, no special effects and no clear political line. It is raw, sobering, slow-moving, but real. This is certainly not your next Tiger King or other Netflix blockbuster, but an important and praiseworthy documentary it is.

“Miners, the Horsekeeper and Pneumoconiosis” (矿民、马夫、尘肺病) is free to watch. “This documentary has no way of being shown or distributed in public, so please share the download link discretely”, comments Jiang on Chinese social networking service Douban. The director says he hopes something will be done to prevent other people from developing pneumoconiosis and “to prevent so many families from falling into poverty as a result of it.”

Review by MERICS junior analyst Thomas des Garets Geddes

Media coverage and sources:

IM PROFIL: Fang Fang (方方): Von der „Stimme von Wuhan“ zur Verräterin

The Chinese author Fang Fang (方方) gained widespread recognition across China for her daily account of life in Wuhan during the Covid-19 lockdown. Initially published on Chinese social media Weibo between January 25 and March 25, her reports depicted in candid and heartfelt detail the suffering of the city’s inhabitants. Her diary attracted tens of millions of readers across China and has now been translated into English and German, under the title “Wuhan Diaries”.

While she is receiving accolades from abroad for her writing, Fang Fang’s reception in China has lately become more controversial. Although initially lauded by her fans as the “conscience of Wuhan” for revealing untold stories and combatting censorship, today there is growing criticism. Some argue that the speedy translation and publication of her writing will only serve the political purposes of Western countries. Social media users have even provided official records of Fang Fang’s real estate properties and accused her of being a traitor for taking tax-payers’ money as a “cadre” (she was the former chairman of Hubei Province Writers Association) while using her writing to humiliate her country.

The author herself has responded to these widely divergent opinions by warning of the similarity between today’s Chinese social media and the atmosphere during the Cultural Revolution. Her diaries serve as a mirror reflecting the bipolar realities in China and the increasing divide in Chinese society.

Media coverage and sources:

MERICS China Digest

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Redaktion

Verantwortliche Redakteurin: Claudia Wessling, Leiterin Publikationen, MERICS

Redakteure: Janet Anderson, Gerrit Wiesmann, Freiberufliche Redakteure, Hannah Seidl, Kommunikationsmanagerin, MERICS

Grafik: Alexandra Hinrichs, Graphic designer, MERICS