Interview
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Dagmar Schmidt: „Dass der rege Austausch abgerissen ist, ist sehr schade gerade in diesen schwierigen Zeiten“ 

Dagmar Schmidt sitzt seit 2013 für die SPD im Bundestag. Die aus Hessen stammende Politikerin ist Vorsitzende der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe. Deren Arbeit ist durch die Covid-19-Pandemie, aber auch durch die Verhärtung in der chinesischen Politik deutlich schwieriger, wie Schmidt im Interview mit Claudia Wessling, Leiterin Publikationen bei MERICS, erzählt.

Die Covid-19-Pandemie hat nicht nur wirtschaftliche Lieferketten beeinträchtigt, sondern auch die Kommunikation zwischen den Nationen. Wie hat sie die Arbeit der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe in den vergangenen Monaten verändert?  

Der sonst mindestens einmal in der Legislatur stattfindende gegenseitige Besuch zwischen den Freundschaftsgruppen hat bislang nicht geklappt. Seit der Pandemie ist die Reiseaktivität allgemein zum Erliegen gekommen. Aber auch vorher waren die Gespräche schon deutlich weniger und manchmal schwierig, weil chinesische Besucher verstärkt nur noch offizielle Regierungsstandpunkte referiert haben. Früher haben wir chinesische Delegationen unterschiedlichster Herkunft bei uns im Bundestag empfangen, das ging von Bloggern, zu Wirtschaftsjournalisten, Wissenschaftlern, Kommunalpolitiker, Wirtschaftsdelegationen. Dass dieser rege Austausch abgerissen ist, ist sehr schade gerade in schwierigen Zeiten. Es wäre wichtig, die Kanäle offenzuhalten.  

Wie gehen sie mit dieser geänderten Situation um, welche Themen beschäftigen die Gruppe in Bezug auf China? 

Wir überlegen derzeit, wie wir dennoch in Kontakt bleiben können, denn in unserer Gruppe ist naturgemäß großes Interesse an einem Austausch, trotz aller Schwierigkeiten. Und Themen gibt es viele: Corona und der gemeinsame Kampf gegen die Pandemie, die wirtschaftlichen Folgen für beide Länder und die weitere wirtschaftliche Zusammenarbeit - aber natürlich auch Menschenrechtsfragen. Die Entwicklung in China bedrückt uns schon sehr. Da ist zum einen die Lage in Hongkong, aber auch die der muslimischen Minderheit in Xinjiang. Es ist wichtig das Thema immer wieder zu benennen.  

Chinas Präsident Xi bekennt sich zwar zum Multilateralismus, gleichzeitig sorgen das Vorgehen in Hongkong und Gesten wie die Gratulation an den weißrussischen Diktator Lukaschenko zum umstrittenen Wahlsieg, für Irritation. Was müssen demokratische Staaten wie Deutschland und seine Partner in der EU im Umgang mit China ändern? 

Corona und die zunehmend autoritäre Politik in China zeigen doch klar: wir müssen Abhängigkeiten reduzieren, ohne gleich zu eskalieren und die wirtschaftlichen, politischen und zivilgesellschaftlichen Kontakte abzubrechen. Es gilt, unseren früher sehr auf China fokussierten Blick zu weiten. Viele Unternehmen stellen sich bereits diverser auf in Bezug auf ihre Absatz- und Lieferketten und schauen auch auf andere asiatische Länder. 

Im Dialog mit China kommen wir künftig nicht daran vorbei, die Probleme klar zu benennen und uns nicht auf diplomatische Floskeln zu beschränken. China macht auch klare Ansagen, darauf müssen wir klar antworten – und Verbündete suchen, denen Menschenrechte und globale Regeln wichtig sind. Da kann Europa der Motor sein. 

Was lehrt uns die Covid-19-Krise: In welchen wirtschaftlichen Bereichen sollte Europa sich unabhängiger machen? 

Besonders zentral sind die neuen Technologien, die Telekommunikation, Künstliche Intelligenz, Robotik – in all diesen Bereichen hat Europa Potential, und Corona hat vielleicht einen Schub gegeben, dass wir mehr investieren. Auch in der Gesundheitsversorgung müssen wir uns anders aufstellen, da meine ich nicht nur Masken, da geht es auch um Medikamente und Medizintechnik. Europa braucht keine negative Reaktion auf China, sondern eine, die auf positive Konsequenzen abzielt. 

China ist Partner, Wettbewerber und Systemrivale – diesen Dreiklang betonen nicht nur EU-Diplomaten seit einiger Zeit, auch die SPD hebt in ihrem kürzlich veröffentlichten Positionspapier darauf ab. Wie muss Ihrer Ansicht nach die EU, deren Mitglieder in der China-Politik ja alles andere als einig sind, sich dieser Herausforderung stellen? 

In Richtung mehr Einigkeit in der China-Politik hat, glaube ich, Corona auch Rückenwind gegeben. Länder, die mit China sympathisieren, fühlen sich vor allem von der EU zu wenig unterstützt. Die Krise hat das Bewusstsein gestärkt, dass investiert werden muss, in gemeinsame Infrastrukturen und gemeinsames Wirtschaften. Es kann nicht sein, dass ich für eine Bahnfahrt von Frankfurt nach Sophia ewig unterwegs bin. Wir brauchen in Europa ein Bahn-, Daten- und Straßennetz, das uns besser verbindet. Und auf der anderen Seite brauchen wir eine klare Kante gegen EU-Mitglieder, die Menschen- und Bürgerrechte missachten. Wir müssen klarmachen, dass wir es ernst meinen mit unseren Werten. 

Dieses Interview erschien in unserem Newsletter "MERICS China Briefing" vom 27. August 2020.