EU-China summit in Brussels, 2019
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MERICS China Forecast 2021

Umfrageergebnisse zu China und den EU-China Beziehungen

2020 war ein turbulentes Jahr, insbesondere mit Blick auf alles, was mit China zu tun hatte. Im kommenden Jahr werden Länder auf der ganzen Welt mit der doppelten Herausforderung konfrontiert sein, die Covid-19-Krise zu bewältigen und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen abzufedern. Während vielversprechende Durchbrüche bei Impfstoffen ein Ende der Pandemie in Aussicht stellen, werden die politischen und wirtschaftlichen Anforderungen an die Verteilung von Impfstoff die Weltgemeinschaft auf die Probe stellen. Gleichzeitig wird eine Reihe von wichtigen Entwicklungen die Beziehungen zwischen der EU und China beeinflussen: der 100. Geburtstag der KPC, die Veröffentlichung von Chinas 14. Fünfjahresplan, der Amtsantritt des neuen US-Präsidenten und eine neue Bundesregierung.

Um herauszufinden, wie die Beziehungen zwischen der EU und China nach Meinung von Beobachtern im Jahr 2021 aussehen werden, führte MERICS eine Umfrage unter 170 europäischen China-Experten und rund 1.000 Mitgliedern der breiteren internationalen Öffentlichkeit durch. Eine Auswahl der Ergebnisse wurde am 13. Januar 2021 auf der MERICS China Forecast 2021 Konferenz vorgestellt und von führenden China-Spezialisten diskutiert.

Die MERICS China Forecast 2021 Konferenz

Nach der Eröffnung durch MERICS Direktor Mikko Huotari, debattierten in der ersten Diskussionsrunde zu Chinas Innenpolitik und Wirtschaft folgende Experten: George Magnus, Associate am China Centre der University of Oxford, Rana Mitter, Professor für Geschichte und Politik des modernen China an der University of Oxford, Arthur R. Kroeber, Gründungspartner und Forschungsleiter bei Gavekal Dragonomics Beijing und Nonresident Senior Fellow bei Brookings, sowie Kristin Shi-Kupfer, Senior Associate bei MERICS und Professorin für zeitgenössisches China an der Universität Trier. Die Diskussion wurde von Bernhard Bartsch, Senior Expert China und Asien-Pazifik bei der Bertelsmann Stiftung, moderiert.

Die zweite Podiumsdiskussion hatte Europas China-Strategie für 2021 zum Thema. Teilnehmer waren Reinhard Bütikofer, Mitglied des Europäischen Parlaments für die Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz, Gunnar Wiegand, Geschäftsführer für Asien und den Pazifik beim Europäischen Auswärtigen Dienst, Lucrezia Poggetti, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei MERICS, und Plamen Tonchev, Leiter der Asien-Abteilung am Institut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen und MERICS European China Policy Fellow. Die Diskussion moderierte Jakob Hanke Vela, Handelsreporter unseres Medienpartners POLITICO Europe. Die Veranstaltung wurde live auf Youtube gestreamt und danach als Mitschnitt veröffentlicht.

In einer vorab aufgezeichneten Podcast-Diskussion mit dem Titel "Globale Herausforderungen im Jahr 2021" diskutierten der ehemalige australische Premierminister Kevin Rudd, Isabel Hilton und Jonathan Hillmann über die Themen Entkopplung, Klima und Konnektivität. Es ist als Episode unseres Podcasts verfügbar. Die Ergebnisse der jährlichen MERICS-Umfrage wurden auf der Veranstaltung von Lucrezia Poggetti vorgestellt (auch als Kurzanalyse auf unserer Website verfügbar). Nachfolgend finden Sie eine Auswahl der Ergebnisse aus des diesjährigen Forecast-Umfrage. Die vollständigen Ergebnisse können als PDF heruntergeladen werden.

Technologische Eigenständigkeit und sozio-ökonomische Stabilität dominieren Chinas innenpolitische Agenda  

Eigene Prioritäten und ein geopolitisches Umfeld, das von dem anhaltenden Wettbewerb zwischen China und den USA geprägt ist, werden die chinesische Innen- und Wirtschaftspolitik im Jahr 2021 beeinflussen. Die Befragten gehen davon aus, dass Xi Jinpings Machtposition unangefochten ist. Mehr als 80 Prozent aller Befragten rechnen damit, dass er seine Machtposition weiter ausbauen wird. Dies ist insbesondere auch vor dem Hintergrund interessant, dass das Publikum der letztjährigen MERICS Forecast-Veranstaltung im Januar 2020 den Ausbruch des Coronavirus als große Bedrohung für Xis Legitimität bewertete. 

Nach dem verschärften Durchgreifen in Hongkong im vergangenen Jahr und neuen Enthüllungen über Umerziehungslager in Xinjiang befürchten die Befragten, dass Taiwan der nächste Krisenherd sein könnte. Fast 40 Prozent der europäischen China-Experten rechnen damit, dass Spannungen rund um Taiwan 2021 zunehmen könnten.

Gleichzeitig erwarten die Umfrageteilnehmer, dass sich China 2021 vor allem auf die Pflege von Partnerschaften in Asien sowie auf technologische Eigenständigkeit und wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise konzentrieren wird. Das Ziel der wissenschaftlichen und technologischen Autarkie dürfte im Mittelpunkt des 14. Fünfjahresplans stehen, der voraussichtlich im März beim Nationalen Volkskongress verabschiedet werden wird. 44 Prozent der China-Experten rechnen damit, dass die technologische Eigenständigkeit im Mittelpunkt der chinesischen Innenpolitik stehen wird. 27 Prozent vertreten die Meinung, dass die sozioökonomische Stabilität Beijing aktuell am meisten umtreibt.  

US-China: Verschärfter Technologie- und Cyber-Wettbewerb   

Die Beziehungen zwischen den USA und China haben sich in den letzten Jahren stetig verschlechtert. Für 2021 erwarten die Befragten einen verschärften Technologie- und Cyber-Wettbewerb zwischen den beiden Großmächten. Gleichzeitig könnte es dieses Jahr zu einer Wiederbelebung der transatlantischen Partnerschaft kommen: 88 Prozent der China-Experten und 82 Prozent der befragten breiteren Öffentlichkeit rechnen mit einer Annäherung der EU und ihrer Mitgliedsstaaten an die USA unter einer Regierung Biden. Und wie sieht es mit den deutsch-chinesischen Beziehungen aus? Im September sind in Deutschland Bundestagswahlen. Nach der Ära Angela Merkel wird keine Lockerung der Haltung gegenüber Beijing erwartet. Fast 50 Prozent der befragten China-Experten gehen davon aus, dass Berlin anschließend eine härtere Gangart gegenüber China einschlagen wird.

Die Zukunft der EU-China-Beziehungen  

Das EU-China Investitionsabkommen (CAI) brachte zu Beginn des Jahres 2021 neuen Schwung in die Beziehungen. Beide Seiten hatten sich erst auf das Abkommen verständigt, als der Großteil der Umfrageteilnehmer bereits alle Fragen beantwortet hatte. Entscheider in Washington und auf der ganzen Welt werden nun genau beobachten, wie die EU es schafft, wirtschaftliche Interessen und die Systemrivalität mit China auszubalancieren. Die Befragten gehen davon aus, dass beides weiterhin nebeneinander bestehen wird: 66 Prozent der Experten erwarten eine Verschlechterung der politischen Beziehungen (sieben Prozentpunkte mehr als im letzten Jahr!), aber 50 Prozent von ihnen denken auch, dass die wirtschaftlichen Beziehungen stabil bleiben werden. Die Befragten aus der breiten Öffentlichkeit teilen diese Ansichten weitgehend. Zudem wird erwartet, dass die Entflechtung (decoupling) vor allem im digitalen Bereich passieren wird: 53 Prozent der befragten Experten denken, dass digitale Infrastruktur und Daten am stärksten betroffen sein werden, gefolgt von kritischen Lieferketten (23 Prozent der Befragten).

Auf die Frage, welche Maßnahmen dieses Jahr am wichtigsten sein werden, wurden zwei Aspekte genannt. So empfahlen die Befragten der EU, als Reaktion auf Beijings Menschenrechtsverletzungen in Hongkong und Xinjiang konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Darüber hinaus solle die EU Lieferketten diversifizieren, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren.  
Hoffnungen auf Klima-Kooperation, aber keine Zusammenarbeit im Bereich Gesundheit  

Was bedeutet das Hin- und Her zwischen Partnerschaft und Rivalität zwischen China und der EU für die internationale

Zusammenarbeit im Bereich der öffentlichen Gesundheit? Die Umfrageteilnehmer sind pessimistisch. Keiner der befragten Experten oder Bürger sieht in der gemeinsamen Erforschung und Verteilung von Impfstoffen einen Bereich, in dem die EU und China einen Durchbruch erzielen können. Hoffnung setzen die Befragten dagegen auf die Klimapolitik. Fast 40 Prozent der Experten und 45 Prozent der Befragten aus der breiten Öffentlichkeit sind der Meinung, dass Europa sich auf ein neues gemeinsames Abkommen mit China konzentrieren sollte, das Klimaziele beinhaltet. Hier könnten greifbare Ergebnisse schneller erreicht werden.