Delegates leave the Great Hall of the People after attending the closing ceremony of the National People's Congress in Beijing, Tuesday, March 11, 2025.
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MERICS China Essentials
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Chinas Nationaler Volkskongress 2025

TOP Thema

Beijing setzt auf Inlandsnachfrage zur Belebung der Konjunktur

Chinas Ministerpräsident Li Qiang hat im Arbeitsbericht der Regierung an den Nationalen Volkskongress (NVK) Anfang März den Schwerpunkt auf die Ankurbelung der Inlandsnachfrage gelegt. Diese macht derzeit nur 40 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, verglichen mit etwas mehr als 50 Prozent in der EU und 70 Prozent in den USA. Wenige Tage vor dem NVK hatte Partei- und Staatschef Xi Jinping die Bedeutung des Konsums für die wirtschaftliche Sicherheit und damit implizit auch für die nationale Sicherheit betont. Damit wächst der Druck auf Chinas Lokalregierungen, das Vertrauen der Verbraucher durch Verbesserungen des sozialen Sicherheitsnetzes zu stärken. Lokalregierungen sind für 85 Prozent der öffentlichen Ausgaben verantwortlich.

Li räumte eine Reihe von Problemen ein, mit denen das Land konfrontiert sei, von geopolitischen Spannungen, dem Technologiewettstreit und sicherheitspolitischen Herausforderungen bis hin zu strukturellen Problemen in der heimischen Wirtschaft, einschließlich des Finanz- und Steuersystems. Dennoch hat die chinesische Regierung für 2025 zum dritten Mal in Folge ein BIP-Wachstumsziel von rund fünf Prozent angekündigt. Auch weil die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump zu einem Handelskrieg zwischen den größten Handelsnationen der Welt führen könnte, setzt Beijing offenbar auf den privaten Konsum: Chinas Verbraucher sind nach Jahren wirtschaftlicher Unsicherheit und schwacher Aktien- und Immobilienmärkte zurückhaltend geworden, aber die chinesische Führung hofft auf eine Trendwende. 

Dafür muss Beijing tiefer in die Tasche greifen. Die Regierung hat das Haushaltsdefizit für das laufende Jahr bereits auf rund vier Prozent des BIP festgelegt, einen Prozentpunkt höher als 2024. Die prognostizierte Neuverschuldung beläuft sich damit auf insgesamt 12 Billionen CNY (1,5 Billionen EUR). China wird 1,3 Billionen CNY in Form von Sonderanleihen ausgeben. 300 Milliarden CNY aus diesen Anleihen will Beijing für ein Subventionsprogramm für den Eintausch alter Konsumgüter verwenden. Die Lokalregierungen werden von Anleihen in Höhe von 4,4 Billionen CNY profitieren. Im Vergleich zu 2024 stehen der chinesischen Regierung 2,9 Billionen CNY (370 Milliarden EUR) mehr zur Verfügung, um öffentliche Dienstleistungen und die Entwicklung ländlicher Regionen zu fördern, Kommunen bei der Refinanzierung ihrer Schulden zu unterstützen, Investitionen in Infrastruktur anzukurbeln und Forschung und Entwicklung in kritischen Branchen zu fördern. Den krisengeschüttelten Markt für Immobilien will Beijing unter anderem mit dem Rückkauf von Objekten stützen. 

Doch die Liste der drängenden Aufgaben für Chinas Lokalregierungen wächst: Sie sollen die Privatwirtschaft und technologische Entwicklung fördern, den Konsum beleben, Arbeitsplätze und Wohlstand sichern und die soziale Stabilität aufrechterhalten, während sie gleichzeitig ihre Bilanzen sanieren und Schulden restrukturieren. Die hohe politische Priorität des technologischen Fortschritts und Chinas jüngste Erfolge im Bereich der künstlichen Intelligenz dürften jedoch für viele lokale Verwaltungen ein Anreiz sein, ihre Ausgaben in den Bereich der Technologiepolitik zu lenken. Da das in Arbeit befindliche Gesetz zur Förderung der Privatwirtschaft dem NVK nicht zur Abstimmung vorgelegt wurde, könnten Behörden zudem weiterhin versuchen, Haushaltsdefizite durch die willkürliche Verhängung von Bußgeldern gegen Privatunternehmen auszugleichen.

Katja Drinhausen, Leiterin des Programms Innenpolitik und Gesellschaft, MERICS: „Mit dem Wachstumsziel von fünf Prozent zeigt sich Beijing zuversichtlich, auch wenn die Wirtschaftslage in China nach wie vor ein politisch heikles Thema ist. Die auf dem NVK angekündigten fiskalpolitischen Maßnahmen erhöhen den Handlungsspielraum für Beijing, um seine politischen Prioritäten zu verfolgen und auf geopolitische und innenpolitische Herausforderungen zu reagieren. Aber da es lokalen Regierungen nach wie vor an Einnahmequellen fehlt, um die Vorgaben Beijings umzusetzen, bleibt die Ankurbelung des Binnenkonsums ein langfristiges Unterfangen.“

Medienberichte und Quellen:

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So hoch war der Beitrag von grünen Technologien zu Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2024 – 13,6 Billionen von insgesamt 135 Billionen CNY. Auf dem Nationalen Volkskongress unterstrich die Regierung ihre anhaltende Unterstützung für die Branche, die sie nicht nur als Instrument im Kampf gegen den Klimawandel sieht, sondern vor allem als Schlüssel zur Energieunabhängigkeit und neuen Exportmöglichkeiten. Chinesische Unternehmen dominieren die Weltmärkte für Solar- und Windtechnologien, Batterien und Elektrofahrzeuge und dürften damit auch in diesem Jahr einen wichtigen Beitrag zu dem von der Regierung angestrebten Wirtschaftswachstum von fünf Prozent leisten. Die Branche wuchs 2024 um 2,2 Billionen CNY und trug damit ein Viertel zum gesamten chinesischen BIP-Wachstum von 9 Billionen CNY bei.  (Quelle: CREA)

Themen

Beijing schafft Anreize für private Investitionen in Zukunftstechnologien

Der Erfolg des chinesischen KI-Startups DeepSeek scheint Chinas Bereitschaft gestärkt zu haben, in Zukunftstechnologien zu investieren, die erst in ein oder zwei Jahrzehnten marktfähig sein werden. Auf der Pressekonferenz zur aktuellen Wirtschaftslage, die traditionell am Rande des Nationalen Volkskongress stattfindet, standen langfristige Innovationen auffallend stark im Vordergrund. Wu Qing, der Leiter der chinesischen Wertpapieraufsichtsbehörde, sprach gar von einer „auf Technologie fokussierten“ Veranstaltung. Der Höhepunkt war die Ankündigung eines neuen staatlichen Fonds (Government Guidance Fund, GGF) mit einem Volumen von einer Billion CNY (127 Mrd. EUR). Dieser soll gezielt aufstrebende Technologien fördern, darunter Quantencomputer, Biotechnologie, verkörperte – also in physische Systeme integrierte – künstliche Intelligenz sowie drahtlose Kommunikationsnetzwerke der nächsten Generation. 

Beijing scheint entschlossen, den privaten Technologiesektor mit staatlicher Unterstützung wiederzubeleben. Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte im Mai 2024 die schwindende Zahl chinesischer Technologie-Einhörner beklagt, wie Start-ups mit einem Unternehmenswert von mindestens einer Milliarde US-Dollar genannt werden. Seitdem hat Xi wiederholt staatliche Akteure aufgefordert, frühzeitig, kleinteilig und langfristig in die Entwicklung aufstrebender Technologien zu investieren. Der GGF soll mit staatlichem Startkapital private Investitionen anziehen. Der Investitionshorizont solcher Fonds wurde bereits auf 20 Jahre verdoppelt. Unklar ist jedoch, wie erfolgreich GGFs bei der Förderung langfristiger Innovationen sind: Sie könnten private Investitionen genauso gut verdrängen. Der 100 Milliarden US-Dollar schwere „Big Fund“ für die Chipindustrie hat seit seiner Gründung vor einem Jahrzehnt durchwachsene Ergebnisse erzielt.

Jeroen Groenewegen-Lau, Leiter des Programms Wissenschaft Technologie und Innovationen, MERICS: „Der Erfolg von DeepSeek hat Chinas Appetit auf große Investitionen in Zukunftstechnologien gesteigert. Obwohl der auf dem NVK angekündigte neue Fonds als Anreiz für Technologie-Start-ups und den Privatsektor präsentiert wird, könnte er am Ende dazu führen, dass private Investoren verdrängt werden und der Einfluss des Staats auf Kosten des Privatsektors weiter zunimmt (国进民退).“

Medienberichte und Quellen:

China verschont im Handelskonflikt potenzielle Partner

Die chinesische Führung betonte auf dem Nationalen Volkskongress erneut ihren Ansatz der „autonomen Öffnung“ des Landes (自主开放) – eine Integration Chinas in die Weltwirtschaft zu eigenen Bedingungen und aus eigenen Motiven. Um auf Handelsbeschränkungen der USA und anderer Akteure reagieren zu können, erweitert und verfeinert China sein handelspolitisches Instrumentarium, setzt dieses aber je nach Akteur anders ein. Beijing unterscheidet zwischen Rivalen, neutral gesinnten Staaten und tatsächlichen oder potenziellen Partnern.

Wenn Gegner wie die USA Handelsbeschränkungen verhängen, antwortet Beijing mit Vergeltungsmaßnahmen vergleichbaren Ausmaßes, gelegentlich auch mit anderen Instrumenten. Als die Trump-Regierung die Zölle auf chinesische Importe in die USA auf 20 Prozent verdoppelte, konterte Beijing mit Zöllen von 15 Prozent auf Hühnerfleisch, Weizen, Mais und Baumwolle aus den USA, kartellrechtlichen Untersuchungen gegen Google, Nvidia und Intel sowie verschärften Exportkontrollen für Seltene Erden. Auch Kanada scheint aus chinesischer Sicht ein Gegner – oder ein Anhängsel der USA: als die Ottawa Einfuhrzölle auf chinesische Elektrofahrzeuge verhängte, reagierte Beijing umgehend mit Zöllen auf wichtige kanadische Waren. 

Im Gegensatz zu seiner Haltung gegenüber Rivalen reagiert Beijing auf Handelsbeschränkungen neutraler oder freundlicher Staaten nicht immer mit Gegenmaßnahmen. So hat China eine Eskalation vermieden, nachdem die EU Zölle auf chinesische Elektrofahrzeuge verhängt hatte. Zwar prüfte China mögliche Fälle von Preisdumping bei Schweinefleisch-, Milch- und Brandy-Importen aus der EU und drohte mit einer Überprüfung der EU-Autoexporte – neue Zölle verhängte es bislang tatsächlich nur auf Brandy. Gegenüber Partnern wie Brasilien, das Zölle auf bestimmte chinesische Einfuhren erhob, oder Südafrika, das Maßnahmen gegen chinesische Autoteile ergriff, entschied sich China häufig gegen Vergeltungsmaßnahmen.

Jacob Gunter, Lead Analyst, MERICS: „China mag gegenüber der EU auf eine Charmeoffensive setzen und Vergeltungsmaßnahmen in der Hoffnung zurückhalten, Europa werde sich angesichts der Eskalation im Handelskonflikt durch die USA neutral verhalten. Das ändert jedoch nichts an den strukturellen Problemen in den Handelsbeziehungen zwischen der EU und China. Beijing behandelt die EU anders als die USA, aber das Ausbleiben von Vergeltungsmaßnahmen löst nicht die unzähligen Probleme, mit denen Europa durch das chinesische Wirtschaftsmodell konfrontiert ist.“

Mehr zum Thema:

Medienberichte und Quellen:

Beijing verschärft Ton gegenüber der Trump-Regierung

Der chinesische Außenminister Wang Yi übte bei einer Pressekonferenz während des Nationalen Volkskongresses scharfe Kritik an Washington. Er warf den USA vor, mit ihrem hegemonialen „America First“-Ansatz die internationale Ordnung ins Chaos zu stürzen. Zudem kritisierte er die US-Regierung unter Donald Trump als „doppelzüngig“, da sie auf Deals mit China aus sei, aber kein echtes gegenseitiges Vertrauen aufbaue.  Auf Fragen zu den jüngsten US-Strafzöllen gegen China erklärte Wang: „Kein Land sollte annehmen, es könne China unterdrücken und eindämmen und zugleich gute Beziehungen unterhalten.“ Zudem verkündete Chinas Botschaft in Washington auf dem Kurznachrichtendienst X: „Wenn die USA Krieg wollen – einen Zollkrieg, Handelskrieg oder eine andere Art von Krieg – sind wir bereit, bis zum Ende zu kämpfen.“

Der harte Tonfall deutet darauf hin, dass die politischen Entscheider in Beijing dabei sind, eine gemeinsame Linie für den Umgang mit Trump zu finden. Die chinesische Führung hatte sich nach Trumps Rückkehr ins Weiße Haus zunächst zurückhaltend geäußert. Die jüngste rhetorische Eskalation spricht jedoch für einen konfrontativeren Kurs gegenüber Washington. Damit wird es immer unwahrscheinlicher, dass die chinesische Regierung Trumps Strafzölle oder andere Maßnahmen tatenlos hinnimmt – vielmehr dürfte sie mit begrenzten, aber gezielten Gegenmaßnahmen entschieden reagieren.

Claus Soong, Analyst, MERICS: „Beijing hat aus dem Handelskrieg während Trumps erster Amtszeit gelernt und die zunehmend selbstbewusste Rhetorik chinesischer Politiker signalisiert, dass China bereit ist, eine härtere Position einzunehmen. Der Vorwurf der ‚Doppelzüngigkeit‘ verdeutlicht das tiefe Misstrauen Beijings gegenüber Trump und lässt vermuten, dass größere Zusicherungen der USA erforderlich wären, um Beijing zu einem Deal zu bewegen.“

Medienberichte und Quellen:

MERICS China Digest

BND-Einschätzung: COVID-Virus wahrscheinlich aus Labor ausgetreten (Tagesschau)

Laut Berichten der Zeit und der Süddeutschen Zeitung ging der deutsche Auslandsgeheimdienst BND mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass das COVID-19-Virus seinen Ursprung in einem Labor im chinesischen Wuhan hatte. (12.03.2025)

China wird sein Verteidigungsbudget in diesem Jahr um 7,2 Prozent erhöhen (AP News)

Das Budget beläuft sich damit auf rund 245 Milliarden USD und wurde auf dem Nationalen Volkskongress Anfang März bekannt gegeben. Chinas Militärausgaben bleiben die zweitgrößten hinter denen der USA. Viele Experten sind der Meinung, dass Chinas Gesamtausgaben für die Verteidigung aufgrund von Posten in anderen Budgets viel höher sind. (05.03.2025)

Russland erhebt Gebühren auf chinesische Auto-Importe (Financial Times)

Im Januar hat Russland für die meisten Personenkraftwagen „Recycling-Gebühren“ erhoben, die ähnlich wie Zölle funktionieren. Wie die Financial Times berichtet, versucht das Land damit, die Flut chinesischer Autoimporte einzudämmen, die im vergangenen Jahr das Siebenfache des Wertes von 2022 erreicht hat. (10.03.2025)

Chinesisches Unternehmen will deutsches Lufttaxi-Start-up Volocopter übernehmen (BR24)

Der chinesische Konzern Wanfeng will den insolventen deutschen Lufttaxi-Hersteller Volocopter für zehn Millionen Euro übernehmen. Das geht aus einer Börsenmitteilung des chinesischen Unternehmens hervor. Volocopter äußerte sich bislang nicht zu den Plänen. (12.03.2025)