

UN-Generalversammlung + TikTok + Positionspapier der EU-Handelskammer
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China nutzt Trumps Angriff auf UN für die eigene Image-Pflege
Beijing konnte die 80. Generaldebatte der Vereinten Nationen vom 23. bis 29. September bislang nutzen, um sich als verantwortungsbewusster globaler Akteur zu präsentieren. Dabei setzte China gezielt auf den Kontrast zu den USA. Während US-Präsident Donald Trump in seiner Rede vor der Generalversammlung in New York multilaterale Institutionen und die Klimapolitik kritisierte, erklärte der chinesische Ministerpräsident Li Qiang auf einer zeitgleich stattfindenden Tagung zu Beijings Globaler Entwicklungsinitiative, China sei bereit, „mit allen Ländern zu kooperieren, um die Entwicklungszusammenarbeit kontinuierlich zu vertiefen”.
Am darauffolgenden Tag legte Präsident Xi Jinping nach, als er per Videoansprache vor dem UN-Klimagipfel erstmals ein konkretes Ziel Chinas zur Reduktion von Treibhausgasen verkündete. Bis 2035 will die Volksrepublik ihre Emissionen gemessen an den Höchstwerten um sieben bis zehn Prozent senken.
Während Trump seine Kritik über die UN hinaus auch an die NATO und einzelne Verbündete richtete, versucht China, ein Gegengewicht zum Westen zu bilden, wie beispielsweise das Format BRICS+ und die Shanghai Cooperation Organization (SCO). Beide expandierten zuletzt: der Gruppe BRICS+ traten fünf neue Mitgliedstaaten bei, die SCO nahm Weißrussland auf.
Im September hatte Beijing – als weiteres Signal seiner globalen Reformideen – die sogenannte Global Governance Initiative verkündet. Diese thematisiert die Wahrnehmung von Staaten des Globalen Südens, nicht ausreichend vertreten zu sein in internationalen Formaten. Außerdem verweist China darin auf den schwindenden Einfluss der UNO und fordert effizientere Formate.
Auch wenn China immer wieder betont, dass seine Initiativen international breit unterstützt werden: seine multilateralen Ambitionen sind nicht ohne Widersprüche. Da ist zum einen das komplizierte Verhältnis zum SCO-Mitglied Indien. Bei der Unterstützung multilateraler Initiativen geht Beijing zudem selektiv vor und bevorzugt Entwicklungs- und Umweltinitiativen, wohingegen es Themen wie Arbeits- und Minderheitenrechte als Einmischung in innere Angelegenheiten betrachtet.
Wie die USA zahlt China seine UN-Beiträge zunehmend verspätet, was die Haushaltskrise der Organisation verschärft und Zweifel an der Ernsthaftigkeit von Beijings Engagement aufkommen lässt. China ist also mitnichten ein Musterschüler in Sachen Multilateralismus. Dass Donald Trump es Beijing diese Woche leicht gemacht hat, sich als verantwortungsbewusste globale Macht zu präsentieren, war für die chinesische Regierung eine willkommene Gelegenheit.
„Beijing nutzte die ersten Tage der UN-Generaldebatte geschickt, um sich einmal mehr im Kontrast zu den USA als Anführer in Sachen Multilateralismus und Globalisierung zu positionieren. Chinas Regierung profitiert auch vom Rückzug der USA aus globalen Foren wie der Weltgesundheitsorganisation und dem Pariser Abkommen sowie der Auflösung der Entwicklungshilfeagentur USAID. Gleichzeitig nutzt Beijing alternative Plattformen wie BRICS+ und die Shanghai Cooperation Organisation, um Unzufriedenheit mit der internationalen Ordnung aufzufangen und im Sinne seiner eigenen Interessen zu nutzen.“
Grzegorz Stec, Leiter des MERICS-Büros in Brüssel
Medienberichte und Quellen:
- Reuters: Trump tells world leaders their countries are 'going to hell' in combative UN speech
- Chinese MFA: Address by Chinese Premier Li Qiang at the high-level meeting on the Global Development Initiative
- Chinese MFA: President Xi Jinping Delivers Video Remarks at the U.N. Climate Summit
- Deutsche Welle: SCO summit: Xi pushes his vision, but is it resonating?
- The New York Times: How China Stands to Gain as the U.S. Steps Away From the U.N.
- First Post: What US and China's late payments mean for the UN
METRIX
18,9
Dies ist der Prozentsatz der 16- bis 24-Jährigen in China, die auf Arbeitssuche sind – ein neuer Rekord seit der Anpassung der Jugendarbeitslosenstatistik Ende 2023, seit der Schüler und Studenten der Sekundar- und Tertiärstufe nicht mehr berücksichtigt werden. Der Anstieg von 17,8 Prozent im August erfolgte, nachdem im Juni und Juli 12,2 Millionen Studenten ihren Abschluss gemacht hatten – eine Rekordzahl von Absolventen, die hochbezahlte Angestelltenjobs anstreben, die es nicht in ausreichender Zahl gibt, während sie weniger qualifizierte Jobs in der Fertigung und im Dienstleistungsbereich meiden, die nach wie vor unbesetzt sind. (Quelle: SCMP)
Themen
TikTok-Deal wirft Fragen zum Schutz von US-Bürgern vor chinesischer Einflussnahme auf
Die sich abzeichnende Einigung im Streit um TikTok durch eine mehrheitliche Übernahme der chinesischen App durch US-Investoren würde Bedenken über eine mögliche Manipulation der öffentlichen Meinung nicht ausräumen. Berichten zufolge soll der Algorithmus in den Händen des chinesischen Mutterkonzerns ByteDance bleiben. Die Vereinbarung würde zwar die chinesischen Auflagen erfüllen, die den direkten Verkauf des Algorithmus untersagen. Sie bedeutet aber auch, dass die USA nur die operative – und nicht die proprietäre – Kontrolle haben würden. Die US-Version von TikTok könnte dadurch wenig Einfluss auf Änderungen haben, die in Beijing beschlossen werden, darunter Updates, Anpassungen des Empfehlungssystems oder völlig neue Funktionen. Darüber gibt auch das am 25. September von US-Präsident Donald Trump unterzeichnete Dekret keinen Aufschluss, das den Weg für den Verkauf des US-Geschäfts von TikTok ebnet.
Sollte der Deal zustande kommen, könnte er womöglich auch anderen Staaten als Modell für die technologische Zusammenarbeit dienen. Die Gründung einer separaten US-Einheit soll den Bedenken Washingtons Rechnung tragen, dass TikTok auf die Daten von US-Nutzern zugreifen und durch seine Algorithmen manipulieren könnte, was 170 Millionen Amerikaner auf der Plattform sehen. Das amerikanische TikTok würde seine Daten in den USA speichern, außerhalb von Beijings Reichweite. Durch die Lizenzierung des Algorithmus bleibt jedoch das Risiko anderer Formen der Manipulation durch China bestehen. Das Unternehmen wird den Algorithmus zwar anhand von US-Nutzerdaten trainieren – was die Nutzer sehen, sollte daher nur von ihren Präferenzen beeinflusst werden. Globale Software-Updates von ByteDance könnten TikTok US dennoch anfällig machen,
„Der TikTok-Deal wird zeigen, ob die US-Aufsicht über einen aus China lizenzierten Algorithmus echte Kontrolle bekäme oder nur die Illusion von Sicherheit vermittelt würde. Wenn eine Einigung den US-Aufsichtsbehörden die Autorität über die Plattform überträgt und Sicherheitsbedenken ausräumt, könnte sie als Vorbild für die Regulierung chinesischer Plattformen in Europa dienen.“
Altynay Junusova, Analystin, MERICS
Medienberichte und Quellen:
Europäische Unternehmen warnen vor schwierigem Geschäftsumfeld in China
Die Europäische Handelskammer in China (EUCCC) hat in einem neuen Positionspapier die Lage europäischer Unternehmen im Land als äußerst schwierig geschildert. Diese sei geprägt durch strukturelle Ungleichgewichte, extreme Preiskämpfe und den mangelnden Zugang europäischer Firmen zu Seltenen Erden aus China. Der jährliche Bericht der Kammer listet Bedenken auf und richtet Empfehlungen an die chinesischen Behörden, um das Geschäftsumfeld für europäische Firmen zu verbessern.
Vor einem Jahrzehnt waren die wichtigsten Anliegen der Interessensvertretung europäischer Unternehmen in China Marktzugangsbeschränkungen, ungleiche Wettbewerbsbedingungen für ausländische Unternehmen und regulatorische Fragen. Diese Probleme bestehen nach wie vor, doch in den vergangenen Jahren kamen weitere hinzu, darunter Beijings industriepolitische Strategie „Made in China 2025“, das Streben nach technologischer Eigenständigkeit und der Umgang mit der Coronapandemie.
Das aktuelle Positionspapier räumt den Exportkontrollen Chinas für Seltene Erden eine hohe Priorität ein, an denen eine auf dem EU-China-Gipfel im Juli ausgehandelte Vereinbarung wenig änderte. Der Präsident der EU-Handelskammer, Jens Eskelund, sagte: „Ich denke, man kann mit Fug und Recht sagen, dass wir seit dem Gipfel keine wesentliche Veränderung in der Art und Weise gesehen haben, wie diese Angelegenheit behandelt wurde.“
Das Papier bezeichnet den im nächsten Jahr erwarteten 15. Fünfjahrplan als Chance für Strukturreformen, die den derzeitigen Fokus von der Produktion auf den Konsum verlagern könnten, was das Wachstum ankurbeln würde. Die Handelskammer weist auch darauf hin, dass die fortgesetzte Industriepolitik Überkapazitäten in Chinas Industrie verstärkt und die daraus resultierende „Involution” (siehe MERICS China Essentials vom 4. September) zu einem starken Preisverfall und massiven Verlusten führt.
„Die Zeiten, in denen europäische Unternehmen in China den Marktzugang in den Vordergrund stellten, erscheinen im Vergleich zu heute fast schon kurios. Viele dieser Unternehmen setzten in ihrer globalen Strategie stark auf China als margenstarker Wachstumsmarkt und um ihre F&E-Budgets zu finanzieren und als Quelle für industrielle Inputs. Chinas strukturelle Wirtschaftsprobleme haben das Wachstumspotenzial geschmälert, die brutalen und untragbaren Preiskämpfe auf dem Markt haben die Margen gedrückt, und beim Export von Seltenen Erden verschärft China seine Kontrollen.“
Jacob Gunter, Programmleiter Wirtschaft und Industrie, MERICS
Medienberichte und Quellen:
Gesetz zur ethnischen Einheit untergräbt Minderheitenrechte weiter
Chinas Regierung hat einen Gesetzesentwurf zur „Förderung der ethnischen Einheit“ zur öffentlichen Konsultation freigegeben. Das Vorhaben zielt darauf ab, ethnische Gruppen beim Ausleben ihrer kulturellen Identität strenger zu kontrollieren, insbesondere Minderheiten in Grenzregionen wie Xinjiang und Tibet. Das neue Gesetz hatte 2024 einen Prioritätsstatus erhalten. Es gehört zu einer Reihe von neueren Maßnahmen, durch die Beijing seine Politik der ethnischen Assimilation ausweitet und institutionell verankert.
Erst kürzlich machte eine Politbüro-Sitzung unter Xis Vorsitz deutlich, wie wichtig ihm dieses Thema ist. Das Gesetz könnte schon 2026 verabschiedet werden. Es verspricht zwar einerseits Minderheiten Gleichberechtigung und Autonomie, betont aber auch die Rolle eines übergreifenden Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühls und der Steuerung der Partei bei der Förderung ethnischer „Harmonie“.
Einige konkrete Änderungen zeichnen sich bereits ab: Kürzlich wurden die Regeln zur sprachlichen Standardisierung aktualisiert und auf die Verwendung von Mandarin in allen Bereichen gepocht. In der Sprach- und Bildungspolitik gibt es schon seit längerer Zeit Tendenzen, Minderheiten zu marginalisieren.
Auch Xi hatte sich bei seinem Besuch in Tibet im August und bei seiner Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 70-jährigen Bestehen der Autonomen Region Xinjiang im September mit Nachdruck für ethnische Einheit eingesetzt. Zwei aktuelle Dokumente zeigen, dass diese Botschaft auch an ein internationales Publikum gerichtet ist. In der Erklärung von Urumqi, die nach einem internationalen Forum zu globalen Partnerschaften und nachhaltiger Entwicklung veröffentlicht wurde, bekundeten die Teilnehmenden ihre Unterstützung für Beijings Politik. Ein neues Weißbuch über die „Verwaltung Xinjiangs”, das von den chinesischen Staatsmedien beworben wird, lobt ebenfalls die Verdienste der Partei um „Stabilität und Wohlstand“ in der Region.
„China will sein Modell im Umgang mit ethnischen Minderheiten als gutes Beispiel für den Schutz der inneren Stabilität, der Einheit und des kulturellen Erbes hervorheben. Die Flut von Gesetzen und Maßnahmen unterstreicht jedoch die zugrunde liegende Mission der KPC, eine ethnische Homogenisierung zu erreichen, um eine einheitliche nationale Identität zu schaffen – und alle unter ihre Kontrolle zu bringen.“
Katja Drinhausen, Programmleiterin für Innenpolitik und Gesellschaft, MERICS
Medienberichte und Quellen:
- NPC (CN): Full text of the draft Law on Promoting Ethnic Unity and Progress
- Bloomberg: China Politburo reviews draft law to push ethnic unity agenda
- SCMP: Beijing to roll out new rules on Chinese language use in ethnic integration drive
- Xinhua (CN): 14th NPC Standing Committee reviews draft of Ethnic Unity Law
- SCMP: Xi Jinping is first Chinese president to attend Xinjiang anniversary celebration
MERICS China Digest
China verzichtet auf Sonderrechte für Entwicklungsländer in der WTO (Bloomberg)
Laut Premierminister Li Qiang wird China künftig auf die Sonderrechte verzichten, die Entwicklungsländern in der Welthandelsorganisation (WTO) zustehen. Diese Entscheidung beseitigt einen Streitpunkt mit den USA, der bislang ein Hindernis für eine Einigung über die Reform der Organisation darstellte. (25.9.2025)
Germanium wird knapp in der EU (Handesblatt)
Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind die Exporte aus China nach Europa im ersten Halbjahr um fast 60 Prozent eingebrochen, wie Zahlen des Rohstoffhändlers Tradium zeigen. In der EU wurde es jedoch verpasst, strategische Vorräte des Rohstoffs, der für die Halbleiter- und Rüstungsindustrie wichtig ist, anzulegen. (25.09.2025)
Bericht: Chinesische Kommune will mit Zuschüssen Bankette fördern (South China Morning Post)
Die Stadt Shaoxing im Osten Chinas will Bankette mit fünf oder mehr Tischen und Kosten von mehr als 10.000 CNY mit bis zu 5.000 CNY bezuschussen. Die Maßnahme soll den Konsum in Zeiten angespannten Wirtschaftswachstums ankurbeln, könnte jedoch im Widerspruch zu den Maßnahmen der Zentralregierung gegen verschwenderische Praktiken von Beamten stehen. (24.9.2025)
US-Unternehmen haben durch den Verkauf von Technologien im Wert von mehreren Milliarden Dollar an die chinesische Polizei, Regierung und Überwachungsfirmen in hohem Maße zum Aufbau des Überwachungsstaates China beigetragen. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht der Nachrichtenagentur AP, der sich auf geleakte interne Dokumente stützt. US-Firmen seien bei weitem die größten Lieferanten gewesen. Der Bericht nennt aber auch deutsche, japanische und koreanische Firmen. (9.9.2025)
Chinesische Covid-Whistleblowerin laut Berichten zu weiteren vier Jahren Haft verurteilt (Reuters)
Die chinesische Bürgerjournalistin Zhang Zhan wurde Berichten zufolge nach ihrer Freilassung im Mai 2024 zum zweiten Mal wegen „Streitigkeiten und Provokationen” zu vier Jahren Haft verurteilt. Sie war schon einmal wegen desselben Vorwurfs zu vier Jahren Haft verurteilt worden, weil sie die frühen Phasen des Covid-19-Ausbruchs in Wuhan dokumentiert hatte. (21.9.2025)
Bericht: Politische Gefangene in Hongkong sind Gewalt ausgesetzt (Nikkei Asia)
Missbrauch und Vernachlässigung sind in Hongkonger Gefängnissen weitverbreitet, was internationale und örtliche Rechtsnormen verletzt, schreibt das in Washington ansässige Committee for Freedom in Hong Kong Foundation in einem Bericht. Politische Gefangene seien besonders betroffen. (8.9.2025)