Interview
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Jan-Peter Kleinhans: “Wir erleben eine Technologie-Rivalität”

Jan-Peter Kleinhans leitet den Projektbereich Technologie und Geopolitik bei der Stiftung Neue Verantwortung, einem Berliner Thinktank, der sich mit dem technologischen Wandel befasst. Kleinhans interessiert sich für technologische Ökosysteme und deren Wertschöpfungsketten – ein Bereich, aus dem China heute nicht mehr wegzudenken ist.

Die Fragen stellte Gerrit Wiesmann, freiberuflicher Redakteur.

TikTok, WeChat, Huawei – kommt nun der Technologie-Krieg zwischen USA und China?

Über die letzten zehn Jahre wurde China in bestimmten digitalen Schlüsseltechnologien vom Kon-sumenten zum Produzenten: Mit TikTok und WeChat sind in China produzierte Social Media-Apps auf einmal auf dem US Markt erfolgreich. Der chinesische Drohnenhersteller DJI ist nicht nur Marktführer, sondern beliefert die US-Polizei. Huawei ist einer der führenden Mobilfunkausrüster. Wir erleben aber keinen Technologie-Krieg, sondern eine Technologie-Rivalität: Die USA wollen in Basis- und Schlüsseltechnologien weiterhin führend sein und sich nicht in eine Abhängigkeit von chinesischen Unternehmen begeben. Gleichzeitig versuchen sie, über Exportrestriktionen den technologischen Fortschritt mehrerer chinesischer Akteure soweit es geht zu unterbinden. Aus Europas Perspektive ist der Unterschied zwischen Krieg und Rivalität entscheidend: Einen Krieg kann man auf diplomatischem Wege schlichten und deeskalieren. Bei einer anhaltenden Rivalität helfen nur Regeln und ein klarer eigener Standpunkt gegenüber beiden Rivalen.  

Washington könnte also weitere chinesische Unternehmen ins Visier nehmen? 

Ja. Ein gutes Beispiel dafür, wie die USA ihre derzeitige Technologieführerschaft in bestimmten Wertschöpfungsketten ausnutzt, um den technologischen Fortschritt von chinesischen Unternehmen zu unterbinden, sind Halbleiter. Die US-Regierung überlegt derzeit SMIC, den größten chinesischen Auftragsfertiger von Chips, auf die Exportkontrollliste zu setzen. SMIC ist jedoch keines-falls wettbewerbsfähig mit anderen US-, taiwanischen oder koreanischen Herstellern wie Intel, TSMC oder Samsung. Der Konzern hinkt etwa vier Jahre hinterher – und das, obwohl er seit 2007 validated end-user bei der US-Regierung war, also fast keinen Exportrestriktionen unterlag und ungehinderten Zugriff auf US-Technologie hatte. Die Frage ist, ob die US-Regierung mit Exportrestriktionen ihren Technologievorsprung langfristig sichern kann. Kurz- und mittelfristig sind Exportkontrollen ein effektives Mittel, um chinesische Unternehmen im Technologiewettbewerb zurückzuhalten. Aber sie führen auch dazu, dass China massiv in die eigene Industrie investiert.

Lässt sich bereits vorhersagen, wie sich die weltweite Technologie-Branche verändern wird?

Wenn die Technologierivalität zwischen USA und China weiter eskaliert – etwa durch gegenseitiges Verhängen umfassender Exportkontrollen – werden sich globale Wertschöpfungsketten verschieben. Schon jetzt haben beispielsweise Japan und Taiwan Programme, um es heimischen Unternehmen mit Niederlassungen in China leichter zu machen, ihre Produktion zurück ins eigene Land zu bringen. Auch in Brüssel wird immer mehr von strategischer Autonomie und technologischer Souveränität in digitalen Schlüsseltechnologien gesprochen. Es besteht das klare Ziel, Wertschöpfungsketten wieder in die eigene Region zu bringen. So spricht die Kommission beispielsweise über die Notwendigkeit, wieder leistungsfähige Prozessoren in Europa zu fertigen. Wenn Europa tatsächlich diese Ambition erreichen möchte, wären aber Investitionen von mehreren Dutzend Milliarden Euro notwendig.

London hat Huawei aus 5G-Netzen ausgeschlossen. Wann fällt in Berlin eine Entscheidung? 

Es fehlt weiterhin an einer klaren Positionierung der Bundesregierung – in die eine oder die andere Richtung – und daran hat auch die britische Entscheidung nichts geändert. Leider. Die britische Debatte hatte sich zum Schluss um die Auswirkungen der verschärften US-Exportkontrollen gedreht. Der Fokus in Deutschland war bisher immer, ob Huawei als Unternehmen und somit auch Huawei-Produkte vertrauenswürdig waren. In Deutschland ging es außerdem ausschließlich um den 5G-Ausbau, nicht aber um die vorhandenen 4G-Netze oder gar Breitbandausbau. Auch hier hat sich von Anfang an die britische Debatte von der deutschen unterschieden. Es ist fraglich, ob sich die Bundesregierung durch die ausgeweitete US-Exportkontrollregelung grundsätzlich anders zu Huawei positionieren wird. Auch im Referentenentwurf des IT-Sicherheitsgesetzes spricht das Bundesinnenministerium lediglich von einer „Vertrauenswürdigkeitserklärung“, die der Netzbetreiber – also etwa Telekom, Vodafone – vom Netzausrüster – etwa Huawei, Nokia, Ericsson – einholen müsse. 

Die britische Kehrtwende war also eine Reaktion auf Druck aus Washington?

Ja – aber wegen des Drucks aus Washington auf Huawei, nicht direkt auf London. Die Entscheidung der britischen Regierung, Huawei vollständig vom Netzausbau auszuschließen, war ein Ergebnis der nochmals verschärften Exportkontrollen gegen den Konzern durch die US-Regierung. Durch die mittlerweile dritte Ausweitung der US-Exportkontrollen verliert Huawei zum einen Zugang zu essenzieller Designsoftware, die notwendig für die Entwicklung moderner Prozessoren ist. Zum anderen dürfen Auftragsfertiger nicht mehr US- Maschinen benutzen, um Chips für Huawei zu fertigen. In beiden Bereichen, Designsoftware und Fertigungsmaschinen, wird der Markt von US-Firmen dominiert, wodurch Huawei kurz- bis mittelfristig kaum Ausweichoptionen hat. Dadurch stellt sich die Frage, wie lange Huawei überhaupt noch in der Lage sein wird, leistungsfähiges Netzwerkequipment herzustellen. Diese Unsicherheit war letztlich ausschlaggebend für London, den britischen Netzbetreibern einen weiteren Ausbau mit Huawei-Technik zu untersagen.

Dieses Interview ist Teil des MERICS China Briefings vom 24. September 2020.

Portrait von Jan-Peter Kleinhans: Sebastian Heise