Yang Jiechi speaking at the Munich Security Conference 2019.
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Münchner Sicherheitskonferenz: China erteilt neuem Abrüstungsvertrag eine Absage

China Update 4/2019

METRIX

So viele Menschen tragen in China den Nachnamen Wang. Damit ist Wang der häufigste Nachname in China. Dies teilte die Polizei in einer von ihr in Auftrag gegeben Studie zur vermeintlichen Namensvielfalt mit. Dem Namen Wang folgen Li, Zhang, Liu und Chen. Knapp ein Drittel der Bevölkerung (433 Millionen Menschen) trägt einen dieser fünf Nachnamen.

Thema der Woche

Münchner Sicherheitskonferenz: China erteilt neuem Abrüstungsvertrag eine Absage

China hat Forderungen nach einem neuen Abrüstungsvertrag eine klare Absage erteilt, sich zugleich aber zum Multilateralismus bekannt. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz betonte Chinas Chefdiplomat Yang Jiechi, dass Chinas militärische Fähigkeiten in dem Bereich einzig der Landesverteidigung dienten.

Der Ruf nach einem internationalen Regelwerk zur Abrüstung kam von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hatte in München vor einem neuen nuklearen Wettrüsten nach der Kündigung des INF-Abrüstungsvertrags durch die USA und Russland gewarnt. "Abrüstung ist etwas, was uns alle umtreibt und wo wir uns natürlich auch freuen würden, wenn nicht nur zwischen den Vereinigten Staaten, Europa und Russland solche Verhandlungen geführt werden, sondern auch mit China," sagte Merkel in ihrer Rede.

Der INF-Vertrag war 1987 von den USA und der Sowjetunion unterzeichnet worden. Er verbannt landstationierte Mittelstreckensysteme mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.000 Kilometern aus Europa. See- und luftgestützte Raketen sind vom Vertrag ausgenommen. Im Januar hatten die USA ihren Rückzug aus dem Vertrag im Laufe dieses Jahres angekündigt und diesen Schritt mit den wiederholten Vertragsverletzungen Russlands seit 2014 begründet. Moskau streitet die Vorwürfe ab.

Zahlreiche europäische Diplomaten in der NATO sehen in Merkels Forderung nach einem neuen multilateralen Vertrag die Möglichkeit, Teile des Abkommens zu retten. Denn ein neuer Vertrag könnte auf die Befürchtungen der USA angesichts einer wachsenden militärischen Bedrohung durch China und Russland eingehen. Bei einer Podiumsrunde im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz lehnte Yang Jiechi, Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas, den Vorstoß jedoch ab: „China entwickelt seine militärischen Fähigkeiten zu Verteidigungszwecken und stellt keine Bedrohung für andere dar. Wir sind daher gegen eine multilaterale Variante des INF-Vertrags“.

Der Vertrag würde den Großteil von Chinas Raketen betreffen, da es sich dabei überwiegend um landstationierte Raketen mittlerer Reichweite handelt. Schätzungen der USA zufolge verfügt China über mehr als 2.000 ballistische Raketen und Marschflugkörper. Unter einem Regelwerk nach dem Vorbild des INF-Vertrags müsste China circa 95 Prozent davon zerstören, einschließlich der auf Taiwan gerichteten Raketen sowie jener, die mit Blick auf die USA zur Abschreckung dienen sollen.

Helena Legarda, wissenschaftliche Mitarbeiterin am MERICS: „Chinas schnelle Absage an einen neuen multilateralen INF-Vertrag kommt nicht überraschend. Zugleich macht sie die Rufe der chinesischen Führung nach mehr Multilateralismus nicht gerade glaubwürdiger. Abrüstung kann nur auf internationaler Ebene erfolgen und wird früher oder später auch China mit seinen sich rasch entwickelnden militärischen Fähigkeiten einschließen müssen.“

China und die Welt

Nach Kritik am Umgang mit Uiguren: China spricht Reisewarnung für Türkei aus

Zwischen Beijing und Ankara ist ein Streit über den Umgang Chinas mit der uigurischen Bevölkerung in der westchinesischen Provinz Xinjiang entbrannt. Nun reagierte Beijing mit einer Warnung vor Reisen in die Türkei für chinesische Touristen.

Eine Million muslimische Uiguren werden Schätzungen zufolge in Umerziehungslagern in Xinjiang festgehalten. China begründet dies offiziell mit dem Kampf gegen Terrorismus und Extremismus. Die Türkei bezeichnete Chinas Umgang mit den Uiguren in einer Stellungnahme als „Schande für die Menschheit“. Zuvor hieß es in Berichten, dass der uigurische Dichter und Musiker Abdurehim Heyit während seiner Haft verstorben sei. Die chinesische Seite wies die Vorwürfe aus Ankara scharf zurück. Chinesische Medien veröffentlichten ein Kurzvideo, um zu belegen, dass Heyit am Leben und bei guter Gesundheit sei. Ob das Video aktuelle Aufnahmen enthält, konnte bislang nicht überprüft werden.

Die Türkei ist eines der wenigen Länder mit einer großen muslimischen Bevölkerung, das China offen für sein Vorgehen in Xinjiang kritisiert. In den vergangenen Jahren haben Ankara und Beijing ihre Beziehungen vertieft – nicht zuletzt, weil die Türkei angesichts der angespannten Beziehungen zur Europäischen Union auf der Suche nach neuen Partnern ist.

Die Türkei ist bereits das dritte Land, für das China in den vergangenen sechs Monaten eine Reisewarnung herausgegeben hat. Nach der Festnahme der Huawei-Managerin Meng Wanzhou in Kanada gab China eine Reisewarnung für Kanada aus. Ein Sicherheitshinweis für Schweden folgte, nachdem chinesische Touristen der schwedischen Polizei grobe Behandlung vorgeworfen hatten. 

Innenpolitik, Gesellschaft und Medien

Datenleck zeigt Ausmaß der Überwachung in Xinjiang

Ein Datenleck erlaubt Einblick in die engmaschige und technologisch ausgeklügelte Überwachung der Bevölkerung in der Autonomen Region Xinjiang im Westen Chinas. Ein niederländischer Netzexperte hatte das Datenleck entdeckt. Er teilte mit, dass das in Shenzhen ansässige Unternehmen SenseNets Technology Bewegungsprofile von mehr als 2,5 Millionen Menschen erstellt. Laut Victor Gevers, Mitbegründer der niederländischen Non-Profit-Organisation GDI.Foundation, war die Datenbank von SenseNet über mehrere Monate ungesichert. Sie enthält Namen, Ausweisnummern, Geburtsdaten und Standortdaten. In einem Zeitfenster von 24 Stunden wurden nahezu 6,7 Millionen GPS-Koordinaten registriert, was zeigt, dass das Unternehmen die Bewegung von Menschen aktiv verfolgt.

Das Datenleck verdeutlicht, wie weit fortgeschritten die Überwachung in Xinjiang, der Heimat von Chinas rund zehn Millionen muslimischen Uiguren, bereits ist. Gesichtserkennung und GPS-Tracking sind nur einige der Technologien, die in der Region eingesetzt werden. Die Behörden installieren zudem Spionagesoftware in persönlichen elektronischen Geräten und sammeln biometrische Daten aller Einwohner. In den Augen von Kritikern verfolgt die chinesische Regierung mit diesen und weiteren Maßnahmen das Ziel einer nahezu flächendeckenden Überwachung. Das Datenleck illustriert zudem die Risiken von öffentlich-privaten Partnerschaften, bei denen Regierungen private Firmen für Überwachungszwecke anheuern.

MERICS-Analyse: Podcast mit Adrian Zenz über Umerziehungslager in Xinjiang

Digitales „kleines Rotes Buch“ in Chinas App-Stores stark nachgefragt

Eine Propaganda-App zur Verbreitung der „Xi Jinping Gedanken“ gehört zu den meist heruntergeladenen Apps in chinesischen App-Stores. Der Name „Xuexi Qiangguo“ (学习强国) heißt übersetzt „Studiere die starke Nation“, wobei die Silbe „xi“ () nicht nur lernen bedeutet, sondern auch Bestandteil des Namens von Staats- und Parteichef Xi Jinping ist.

Die App, die im Januar auf den Markt kam, enthält eine Sammlung von Reden, Videos und Lernmaterialien zu Xis Ansichten, wie man China zu einer starken Nation macht. Sie wurde von der Zentralen Propagandaabteilung der KPC und vom Internetriesen Alibaba erstellt. Eine Beratungsfirma aus Beijing schätzt, dass die App seit ihrer Veröffentlichung Anfang des Jahres insgesamt 43,7 Millionen Mal heruntergeladen wurde.

Nutzer müssen sich mit Klarnamen anmelden, dann erhalten sie Punkte für das Erledigen von Lernaufgaben. Die gesammelte Punktzahl kann von Arbeitgebern und letztendlich von der Kommunistischen Partei als Referenzpunkt genutzt werden. Die Entwicklung der App verdeutlicht die Bemühungen der Regierung, Propaganda und Alltagspolitik zu verbinden, um tief in alle Schichten der Bevölkerung vorzudringen.

„Xuexi Qiangguo“ wurde von Ministerien und Lokalregierungen in ganz China beworben. Manche Arbeitseinheiten verlangen Berichten zufolge von ihren Angestellten das Erreichen einer bestimmten Punktzahl. Die BBC berichtete von einer Frau aus der Provinz Shandong, die täglich 66 Punkte sammeln musste. Hierfür wendet sie durchschnittlich zwei Stunden täglich auf. 

Gesellschaftliches Bonitätssystem: Millionen Menschen wurden Zug- und Flugreisen verwehrt

Das gesellschaftliche Bonitätssystem wird schrittweise, doch bereits spürbar eingeführt. Bis Ende vergangenen Jahres wurden sogenannte „diskreditierte“ Bürger in rund 17 Millionen Fällen daran gehindert zu fliegen bzw. in rund 5 Millionen Fällen, einen Hochgeschwindigkeitszug zu nehmen.

Der Jahresbericht 2018 der Nationalen Reform- und Entwicklungskommission (NDRC) zeigt zudem, dass mehr als 3,59 Millionen chinesische Unternehmen auf offizielle schwarze Listen gesetzt wurden. Dies hat zur Folge, dass sie nicht mehr an Bieterverfahren für Projekte oder Landauktionen teilnehmen können. Zudem wird ihnen der Zugang zu Wertpapiermärkten verwehrt. Zu weiteren Sanktionen für sogenannte „nicht vertrauenswürdige“ Personen zählen der Ausschluss vom Kauf von Premiumversicherungen oder die Bekanntmachung persönlicher Informationen.

Die chinesische Regierung propagiert dieses Vorgehen unter dem Slogan: „In einem Bereich unehrlich, überall eingeschränkt“. Sobald jemand seine Schulden zurückgezahlt hat, kann der Name auch wieder von diesen Listen gestrichen werden. Dem Jahresbericht zufolge haben 3,51 Millionen sogenannte „nicht vertrauenswürdige“ Personen und Unternehmen unter dem Druck des neuen Bonitätssystems ihre Schulden, Steuern oder Strafen bezahlt.

Während es legitim erscheint, Gerichtsurteile und die Rückzahlung von Schulden durchzusetzen, betrachten Kritiker die Maßnahmen der chinesischen Behörden als Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Die chinesische Führung hat sich gegen diesen Vorwurf bislang verwahrt und stattdessen begonnen, Aspekte des gesellschaftlichen Bonitätssystems weltweit als ein Modell für die schnelle und effektive Durchsetzung von Gerichtsurteilen zu propagieren.

Wirtschaft, Finanzen und Technologie

Beijing plant stärkere Integration von Hongkong und Macao mit Guangdong

Hongkong und Macao sollen nach Plänen der Regierung in Beijing stärker mit der Provinz Guangdong verflochten werden. Ein am Montag veröffentlichter Entwicklungsplan für die so genannte „Greater Bay Area“ sieht vor, dass die beiden Sonderverwaltungszonen künftig enger mit insgesamt neun Städten in Guangdong kooperieren sollen, darunter mit der Provinzhauptstadt Guangzhou und der Sonderwirtschaftszone Shenzhen.

Die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam begrüßte den Plan und stellte fest, dass er Hongkong viele neue Möglichkeiten eröffne. Dem schlossen sich Wirtschaftsvertreter und regierungsnahe Politiker an. Der Parteichef der pro-demokratischen Hongkonger Bürgerpartei Alvin Yeung Ngok-kiu kritisierte hingegen, dass das Papier die Rechtsstaatlichkeit und das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ nur unzureichend schütze.

Die vorgeschlagene „Greater Bay Area“ hat ungefähr 70 Millionen Einwohner und erwirtschaftet ein Bruttoinlandsprodukt von 1,6 Billionen USD – etwa so viel wie Südkorea. Ein wichtiger Bestandteil des Plans ist auch die Verzahnung mit bestehenden Projekten der chinesischen Regierung, wie der „Belt and Road Initiative“. Der Erfolg der Region ist somit von großem strategischem Interesse für Beijing.

Die Wahl der Bezeichnung „Bay Area“ erinnert nicht zufällig an die San Francisco Bay Area, zu der auch das Silicon Valley gehört. Innovation soll die treibende Kraft in der Region sein. Innerhalb der nächsten drei Jahre sollen die erforderlichen Rahmenbedingungen für die Umsetzung des Plans geschaffen werden. Bis 2035 soll die Integration der Region weitgehend abgeschlossen sein. Angesichts der verschiedenen Finanz- und Wirtschaftssysteme in der Region dürfte sich dieser Prozess jedoch schwierig gestalten.

Autoverkäufe in China angesichts wirtschaftlicher Unsicherheit rückläufig

Der Absatz von Neuwagen in China ist im Januar zum siebten Mal in Folge zurückgegangen, wie der führende Verband der Automobilindustrie des Landes Anfang dieser Woche mitteilte. Die Nachfrage auf dem größten Automarkt der Welt verlangsamt sich weiter.  

Der Verband der chinesischen Automobilhersteller meldete für Januar einen Rückgang der Verkaufszahlen um 15,8 Prozent auf 2,37 Millionen Fahrzeuge. Entgegen diesem Trend ging der Absatz von Autos mit alternativen Antriebstechnologien im Januar weiter in die Höhe. Insgesamt wurden im vergangenen Monat 95.700 E-Autos verkauft, was einer Steigerung von 140 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht. Nach wie vor handelt es sich allerdings um ein Nischensegment.  

Die rückläufigen Verkaufszahlen in einem wichtigen Produktionszweig verdeutlichen die anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen China steht. Sie sind auf einen Nachfragerückgang, ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum, die Unwägbarkeiten des Handelsstreits mit den USA sowie eine nur schleppend vorankommende Reform des Finanzsektors zurückzuführen.

Die wirtschaftlichen Herausforderungen standen auch beim jährlichen Treffen der wichtigsten Ökonomen des Landes am vergangenen Wochenende auf der Tagesordnung. Redner auf dem Chinese Economist 50 Forum räumten ein, dass die langsame Umsetzung von Strukturreformen den Druck auf die Wirtschaft erhöhten und keine greifbaren Ergebnisse hervorbrächten. Unter den Experten bestand jedoch kein Konsens, wie die Wirtschaft kurzfristig stabilisiert und angekurbelt werden könne. Auf dem Forum wurden auch die Probleme von kleinen und mittleren Unternehmen, insbesondere beim Zugang zu Krediten, thematisiert, durch die der Privatsektor weiter gehemmt wird.

Der europäische Blick

Beijing sagt Handelsgespräche mit London nach kontroverser Rede ab

Eine Rede des britischen Verteidigungsministers Gavin Williamson hat China vermutlich dazu veranlasst, die Handelsgespräche mit Großbritannien abzusagen. Die Gespräche zwischen dem chinesischen Vizepremier Hu Chunhua und dem britischen Finanzminister Philip Hammond waren Medienberichten zufolge ursprünglich für das vergangene Wochenende geplant gewesen. Sie wurden jedoch abgesagt, nachdem der britische Verteidigungsminister implizit damit gedroht hatte, einen Flugzeugträger im Südchinesischen Meer zu stationieren. Bislang wurden allerdings weder die geplanten Gespräche noch die Absage offiziell bestätigt.

In seiner Rede zur britischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach dem Brexit hatte Williamson Chinas militärische Modernisierung erwähnt und die Notwendigkeit, eine auf Regeln basierte internationale Ordnung zu verteidigen. Er hatte zudem angekündigt, dass der hochmoderne britische Flugzeugträger, die HMS Queen Elizabeth, auf seiner ersten Tour 2021 ins Mittelmeer und in den Pazifik bewegt werde. Dies wurde von vielen Beobachtern so verstanden, dass damit auch eine sogenannte „Freiheit der Schifffahrt”-Operation (FONOP) im Südchinesischen Meer verbunden sei. Diese Ankündigungen hatten China verärgert, aber auch in Großbritannien für Kritik gesorgt.

Die vermeintliche Absage der Handelsgespräche kommt für Großbritannien zu einem ungünstigen Zeitpunkt, kämpft das Land doch mit den Folgen des anstehenden Brexits. Großbritannien ist auf gute Handelsbeziehungen mit Ländern wie China angewiesen, will es die wahrscheinlichen Verluste kompensieren, die mit dem Austritt aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion verbunden sind. Gleichzeitig geht es darum, ein zentrales Versprechen der Austritts-Kampagne einzulösen, nämlich bilaterale Freihandelsabkommen zu schließen. Die wirtschaftlichen Ziele müssen jedoch in Einklang gebracht werden mit der wachsenden Beteiligung Großbritanniens an den US-geführten „Freiheit der Schifffahrt”-Einsätzen, um dem chinesischen Einfluss in den umstrittenen Gewässern des Südchinesischen Meeres etwas entgegenzusetzen.

Im Profil

„Chinas bester Mann“ verlässt Deutschland

Fast vier Jahrzehnte lang hat Shi Mingde das Verhältnis zwischen China und Deutschland mitgestaltet. Ende Februar geht der 64jährige Karrierediplomat in den Ruhestand und kehrt nach China zurück. Die wechselvolle Geschichte Deutschlands und die deutsche Sprache prägen sein Leben. Bereits als junger Mann lernte Shi Ostdeutschland kennen, nachdem er als Neunjähriger 1964 an der Beijinger Fremdsprachenschule begonnen hatte, Deutsch zu lernen. 1972 kam Shi erstmals für ein dreijähriges Studium in die DDR. 1976 trat er in Ostberlin an der chinesischen Botschaft seinen ersten Diplomatenposten an. 1993 wurde er als Botschaftsrat in Bonn erstmals im wiedervereinigten Deutschland eingesetzt, 2002 dann als Gesandter der Botschaft in Berlin. Bevor Shi 2012 Botschafter in Berlin wurde, war er zwei Jahre lang Botschafter in Wien. Die Welt titelte anlässlich seines Wechsels nach Berlin: „China schickt seinen besten Mann nach Deutschland“. Dieses Urteil galt u.a. seinen umfangreichen Landes- und perfekten Sprachkenntnissen. Seine ganze Familie – inklusive Schwiegertochter – spricht Deutsch. Seine Frau übersetzte neben Böll und Jelinek auch Biografien von Gerhard Schröder und Angela Merkel.

Shi Mingde hat in seiner Zeit als Botschafter wie manche seiner chinesischen Botschafterkollegen eine Wandlung vollzogen, die das gewachsene außenpolitische Selbstbewusstsein Chinas widerspiegelt. Trotz der immer engeren wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen China und Deutschland ging er in der deutschen Öffentlichkeit wiederholt in die Offensive. Im Mai vergangenen Jahres warf er Deutschland Protektionismus vor, nachdem in Berlin die Widerstände gegen Übernahmen deutscher Hochtechnologieunternehmen größer geworden waren. Gleichzeitig versuchte er Einfluss zu nehmen auf die deutsche Berichterstattung über China. Im Oktober 2018 kritisierte die chinesische Botschaft die Süddeutsche Zeitung für deren angebliche Missachtung der Ein-China-Politik, kaum hatte diese ein Interview mit dem taiwanischen Außenminister publiziert. Eine neue Qualität bedeutete auch das Vorgehen im November 2018, als die Botschaft in einem Schreiben an den Bundestag kritisierte, dass das deutsche Parlament trotz der von China vorgebrachten Einwände über die „so genannte Menschenrechtslage in Xinjiang“ debattiert habe.

Gleichzeitig betonte Shi immer wieder, dass China zu keinem anderen europäischen Land so gute und intensive Beziehungen pflege wie zu Deutschland und dass beide Länder einander bräuchten. Shis Nachfolge soll der bisherige Botschafter in den Niederlanden Wu Ken antreten.