Two cooling towers of the Sahiwal Coal Power plant
Interview
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Plamen Tonchev: „Beijing muss beweisen, dass es eine ‚saubere’ Neue Seidenstraße von überzogenen Finanzlasten befreien kann.“

Plamen Tonchev ist Leiter der Asien-Abteilung am Institut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen (IIER), Griechenland. Als MERICS European China Policy Fellow befasst er sich mit Chinas Belt and Road Initiative (BRI) und den Auswirkungen des weitläufigen Infrastrukturprogramms auf den Klimawandel.

Fragen von Gerrit Wiesmann, freier Redakteur

Präsident Xi Jinping hat angekündigt, China werde bis 2060 klimaneutral sein. Welche Rolle wird die „Neue Seidenstraße“ (BRI) bei der Erfüllung dieses Ziels spielen?

Xi Jinpings Verlautbarung auf der 75. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat Vor- und Nachteile. Zum einen versprach er, China werde seine Ziele im Rahmen des Pariser Abkommens, die so genannten national festgelegten Beiträge (NDB), erhöhen, seine CO2-Emissionen vor 2030 von Jahr zu Jahr senken und vor 2060 klimaneutral sein. Die Tatsache, dass China zeitgebundene Meilensteine gesetzt hat, wird als weitgehend positive Entwicklung gewertet. Inwieweit sie erreicht werden, bleibt abzuwarten – sie bleiben ein Ziel und keine Selbstverständlichkeit.

Sicher ist derzeit, dass Chinas Treibhausgasemissionen mindestens noch ein Jahrzehnt weiter ansteigen werden. Das finde ich nicht sonderlich beruhigend. Beijing scheint jedenfalls keine Dringlichkeit bei der Bekämpfung des Klimawandels an den Tag zu legen. Während chinesische Behörden sich zur Bekämpfung von Umweltverschmutzung im eigenen Land bekennen, sind Chinas kohlenstoffbasierte Industriebranchen entlang der Schneisen der BRI sehr aktiv ­– eine Reihe von Kohlekraftwerken wird in Asien, Afrika und Südosteuropa gebaut. China versucht zwar Emissionen im eigenen Land zu verringern, exportiert aber kohlenstoffintensive Verfahren ins Ausland und wälzt damit die Emissionslast auf andere ab.

Tatsächlich hat China große Teile der BRI-Mittel in kohleabhängige Projekte geleitet. Aber Beijing spricht auch von einer „grünen und sauberen“ BRI ...

Auch hier geht es um Verlautbarungen, um Worte, die noch in Taten umgesetzt werden müssen. Tatsächlich hat Xi auf dem zweiten „Belt and Road“-Forum im April 2019 von einer "offenen, grünen und sauberen" BRI gesprochen hat. Diese Art der Rhetorik Beijings ist nach verbreiteter Auffassung eine Folge der Kontroversen über viele von China finanzierte Infrastrukturprojekte, darunter nicht wenige mit schlechten CO2-Bilanzen. China muss in der Praxis beweisen, dass es Wort halten kann.

Allerdings hätten Trends zur Finanzierung weniger kohlenstoffintensiver Projekte wohl eher mit den Folgen von Covid-19 zu tun als mit Beijings Verlautbarungen über eine „grüne und saubere“ Neue Seidenstraße. Aufgrund steigender Verschuldung mehrerer BRI-Partnerländer und des Insolvenzrisikos sind Chinas staatliche Förderbanken, die China Development Bank und die Export-Import Bank of China vorsichtiger geworden bei der Kreditvergabe für große Infrastrukturprojekte, die normalerweise mit erheblichen CO2-Emissionen verbunden sind.

Inwieweit ist die "grüne BRI" auch die Suche nach neuen Märkten für erneuerbare Energien? Und was bedeutet dies für Europa und die USA?

In den vergangenen zehn Jahren hat China einen Boom bei der Nutzung erneuerbarer Energiequellen erlebt, hauptsächlich Photovoltaik (PV) und Wind. Dies ist ein Schlüsselelement der kohlenstoffarmen Strategie der Regierung, die sich auf großzügige staatliche Beihilfen in Form von Strompreisgarantien stützt. So stieg beispielsweise zwischen 2010 und 2017 die installierte PV-Kapazität Chinas von 40 GW auf 250 GW, also um doppelt so viel wie im Rest der Welt. Dies hatte deutliche Folgen für die Branche weltweit und drängte eine Reihe europäischer und amerikanischer Solarmodulhersteller vom Markt. Aber dieses halsbrecherische Wachstum trieb das Volumen staatlicher Beihilfen in China in untragbare Höhen und führte zu einem hohen Risiko von Überkapazitäten. Vor zwei Jahren änderte die Regierung daher abrupt ihren Kurs und beschloss, die Subventionen für die Hersteller von Solarmodulen zu kürzen. Dieser Kurs wurde Mitte 2018, am 31. Mai, bekannt gegeben, daher der Name "531".

Chinesische Solarmodulhersteller versuchen nun verzweifelt, internationale Aufträge zu gewinnen – und hierfür erweist sich BRI für Beijing als sehr hilfreich. Im Prinzip könnten Chinas enorme Ressourcen im Bereich der erneuerbaren Energien Entwicklungsländern helfen, die CO2-Bilanz zu verbessern. Dies wird jedoch von verfügbaren Investitionsmitteln und umsichtiger Finanzpolitik abhängen. Hier kommt es erneut auf die Auswirkungen von Covid-19 an – im Zuge der Krise bemühen sich viele Entwicklungsländer, angehäufte Staatsschulden abzuzahlen. Neben einer „grünen“ Neuen Seidenstraße ist Beijing in der Pflicht zu beweisen, dass es eine „saubere“ BRI von überzogenen Finanzlasten befreien kann. Wenn China beweisen will, dass es tatsächlich ein verantwortungsbewusster politischer Akteur ist, hat es nun die perfekte Gelegenheit: Es muss am Beispiel der BRI beweisen, dass es Ankündigungen in greifbare Ergebnisse verwandeln kann.

Dieses Interview erschien erstmals im MERICS China Briefing vom 22. Oktober 2020.